aber für ihren Sohn. Nur an den Sonn- und Festtagen deckte sie den Tisch förmlich, und setzte ein Pfündchen Rindfleisch darauf, welches sie am Sonnabend eingekauft. Diesen Einkauf selber machte sie weniger aus Bedürfniß -- denn sie hätte sich für ihre Person auch am Sonntage noch mit der lakonischen Suppe begnügt, wenn es hätte sein müssen --, als vielmehr um noch einen Zusammenhang mit der Welt und Gelegen¬ heit zu haben, wenigstens ein Mal die Woche auf dem alten Markt zu erscheinen und den Welt¬ lauf zu sehen. So marschirte sie denn still und eifrig, ein kleines Körbchen am Arm, erst nach den Fleischbänken, und während sie dort klug und bescheiden hinter dem Gedränge der großen Haus¬ frauen und Mägde stand, welche lärmend und stolz ihre großen Körbe füllen ließen, machte sie höchst kritische Betrachtungen über das Behaben der Leute und ärgerte sich besonders über die munteren leichtsinnigen Dienstmägde, welche sich von den lustigen Metzgerknechten also bethören ließen, daß sie, während sie mit ihnen scherzten und lachten, ihnen unversehens eine ungeheure
aber fuͤr ihren Sohn. Nur an den Sonn- und Feſttagen deckte ſie den Tiſch foͤrmlich, und ſetzte ein Pfuͤndchen Rindfleiſch darauf, welches ſie am Sonnabend eingekauft. Dieſen Einkauf ſelber machte ſie weniger aus Beduͤrfniß — denn ſie haͤtte ſich fuͤr ihre Perſon auch am Sonntage noch mit der lakoniſchen Suppe begnuͤgt, wenn es haͤtte ſein muͤſſen —, als vielmehr um noch einen Zuſammenhang mit der Welt und Gelegen¬ heit zu haben, wenigſtens ein Mal die Woche auf dem alten Markt zu erſcheinen und den Welt¬ lauf zu ſehen. So marſchirte ſie denn ſtill und eifrig, ein kleines Koͤrbchen am Arm, erſt nach den Fleiſchbaͤnken, und waͤhrend ſie dort klug und beſcheiden hinter dem Gedraͤnge der großen Haus¬ frauen und Maͤgde ſtand, welche laͤrmend und ſtolz ihre großen Koͤrbe fuͤllen ließen, machte ſie hoͤchſt kritiſche Betrachtungen uͤber das Behaben der Leute und aͤrgerte ſich beſonders uͤber die munteren leichtſinnigen Dienſtmaͤgde, welche ſich von den luſtigen Metzgerknechten alſo bethoͤren ließen, daß ſie, waͤhrend ſie mit ihnen ſcherzten und lachten, ihnen unverſehens eine ungeheure
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aber fuͤr ihren Sohn. Nur an den Sonn- und
Feſttagen deckte ſie den Tiſch foͤrmlich, und ſetzte
ein Pfuͤndchen Rindfleiſch darauf, welches ſie am
Sonnabend eingekauft. Dieſen Einkauf ſelber
machte ſie weniger aus Beduͤrfniß — denn ſie
haͤtte ſich fuͤr ihre Perſon auch am Sonntage
noch mit der lakoniſchen Suppe begnuͤgt, wenn
es haͤtte ſein muͤſſen —, als vielmehr um noch
einen Zuſammenhang mit der Welt und Gelegen¬
heit zu haben, wenigſtens ein Mal die Woche
auf dem alten Markt zu erſcheinen und den Welt¬
lauf zu ſehen. So marſchirte ſie denn ſtill und
eifrig, ein kleines Koͤrbchen am Arm, erſt nach
den Fleiſchbaͤnken, und waͤhrend ſie dort klug und
beſcheiden hinter dem Gedraͤnge der großen Haus¬
frauen und Maͤgde ſtand, welche laͤrmend und
ſtolz ihre großen Koͤrbe fuͤllen ließen, machte ſie
hoͤchſt kritiſche Betrachtungen uͤber das Behaben
der Leute und aͤrgerte ſich beſonders uͤber die
munteren leichtſinnigen Dienſtmaͤgde, welche ſich
von den luſtigen Metzgerknechten alſo bethoͤren
ließen, daß ſie, waͤhrend ſie mit ihnen ſcherzten
und lachten, ihnen unverſehens eine ungeheure
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/115>, abgerufen am 28.11.2024.
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