der Decke strecken", und verzierte jeden ihrer Briefe, die sie an den Sohn schrieb, sorgfältigst am Ein¬ gang und am Schlusse mit dieser Metapher, und der Sohn nannte dieselbe scherzweise das Pro¬ krustesbette seiner Mutter. Indessen, um für alle Fälle das Ihrige zu thun, veränderte sie sogleich am Tage nach seiner Abreise ihre Wirthschaft und verwandelte dieselbe beinahe vollständig in die Kunst, von Nichts zu leben.
Sie erfand ein eigenthümliches Gericht, eine Art schwarzer Suppe, welches sie Jahr aus, Jahr ein, einen Tag wie den anderen um die Mittags¬ zeit kochte, auf einem Feuerchen, welches ebenfalls beinahe von Nichts brannte und ein Klafter Holz ewig dauern ließ. Sie deckte während der Woche nicht mehr den Tisch, da sie nun ganz allein aß, nicht um die Mühe, sondern die Kosten der Wä¬ sche zu ersparen, und setzte ihr Schüsselchen auf ein einfaches Strohmättchen, welches immer sau¬ ber blieb, und indem sie ihren abgeschliffenen Dreiviertels-Löffel in die Suppe steckte, rief sie pünktlich den lieben Gott an, denselben für alle Leute um das tägliche Brot bittend, besonders
der Decke ſtrecken«, und verzierte jeden ihrer Briefe, die ſie an den Sohn ſchrieb, ſorgfaͤltigſt am Ein¬ gang und am Schluſſe mit dieſer Metapher, und der Sohn nannte dieſelbe ſcherzweiſe das Pro¬ kruſtesbette ſeiner Mutter. Indeſſen, um fuͤr alle Faͤlle das Ihrige zu thun, veraͤnderte ſie ſogleich am Tage nach ſeiner Abreiſe ihre Wirthſchaft und verwandelte dieſelbe beinahe vollſtaͤndig in die Kunſt, von Nichts zu leben.
Sie erfand ein eigenthuͤmliches Gericht, eine Art ſchwarzer Suppe, welches ſie Jahr aus, Jahr ein, einen Tag wie den anderen um die Mittags¬ zeit kochte, auf einem Feuerchen, welches ebenfalls beinahe von Nichts brannte und ein Klafter Holz ewig dauern ließ. Sie deckte waͤhrend der Woche nicht mehr den Tiſch, da ſie nun ganz allein aß, nicht um die Muͤhe, ſondern die Koſten der Waͤ¬ ſche zu erſparen, und ſetzte ihr Schuͤſſelchen auf ein einfaches Strohmaͤttchen, welches immer ſau¬ ber blieb, und indem ſie ihren abgeſchliffenen Dreiviertels-Loͤffel in die Suppe ſteckte, rief ſie puͤnktlich den lieben Gott an, denſelben fuͤr alle Leute um das taͤgliche Brot bittend, beſonders
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der Decke ſtrecken«, und verzierte jeden ihrer Briefe,
die ſie an den Sohn ſchrieb, ſorgfaͤltigſt am Ein¬
gang und am Schluſſe mit dieſer Metapher, und
der Sohn nannte dieſelbe ſcherzweiſe das Pro¬
kruſtesbette ſeiner Mutter. Indeſſen, um fuͤr alle
Faͤlle das Ihrige zu thun, veraͤnderte ſie ſogleich
am Tage nach ſeiner Abreiſe ihre Wirthſchaft und
verwandelte dieſelbe beinahe vollſtaͤndig in die
Kunſt, von Nichts zu leben.
Sie erfand ein eigenthuͤmliches Gericht, eine
Art ſchwarzer Suppe, welches ſie Jahr aus, Jahr
ein, einen Tag wie den anderen um die Mittags¬
zeit kochte, auf einem Feuerchen, welches ebenfalls
beinahe von Nichts brannte und ein Klafter Holz
ewig dauern ließ. Sie deckte waͤhrend der Woche
nicht mehr den Tiſch, da ſie nun ganz allein aß,
nicht um die Muͤhe, ſondern die Koſten der Waͤ¬
ſche zu erſparen, und ſetzte ihr Schuͤſſelchen auf
ein einfaches Strohmaͤttchen, welches immer ſau¬
ber blieb, und indem ſie ihren abgeſchliffenen
Dreiviertels-Loͤffel in die Suppe ſteckte, rief ſie
puͤnktlich den lieben Gott an, denſelben fuͤr alle
Leute um das taͤgliche Brot bittend, beſonders
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/114>, abgerufen am 28.11.2024.
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