Sodann lernte er die unruhigen Gegensätze von Hoffnung und Furcht, wie sie durch Fort¬ schritt und Rückschritt in der Geschichte wach ge¬ halten werden, in sich bändigen und ausgleichen, und zwar in Bezug auf den Theil davon, den die nächste Zeit und der Einzelne selbst erlebt. Er sah, daß die Geschichte nicht einem schlechten Romane gleicht, wo eine Anzahl gemüthlicher und tadelloser Menschen von der willkürlichen Teufelei absoluter Schurken gehemmt und ver¬ wickelt wird, sondern daß in ihr das Unheil eben nur der Lückenbüßer und Aehrenleser des Heiles, d. h. der Rückschritt nichts Anderes als der sto¬ ckende Fortschritt ist; oder mit deutlicheren Wor¬ ten gesagt, wenn ein sogenannter Fortschritt nicht Stich hält, so ist er eben keiner gewesen.
Daher ist der Grund und das Wesen einer Reaction nicht in ihr selbst zu suchen, als in einer selbständigen feindlichen Kraft, sondern in der Unvollkommenheit des Fortschrittes; denn es giebt nur Eine wirkliche Bewegung, diejenige nach vorwärts; alle Völker und Menschen wollen vor¬ wärtsschreiten auf ihre Weise, und die Reactio¬
Sodann lernte er die unruhigen Gegenſaͤtze von Hoffnung und Furcht, wie ſie durch Fort¬ ſchritt und Ruͤckſchritt in der Geſchichte wach ge¬ halten werden, in ſich baͤndigen und ausgleichen, und zwar in Bezug auf den Theil davon, den die naͤchſte Zeit und der Einzelne ſelbſt erlebt. Er ſah, daß die Geſchichte nicht einem ſchlechten Romane gleicht, wo eine Anzahl gemuͤthlicher und tadelloſer Menſchen von der willkuͤrlichen Teufelei abſoluter Schurken gehemmt und ver¬ wickelt wird, ſondern daß in ihr das Unheil eben nur der Luͤckenbuͤßer und Aehrenleſer des Heiles, d. h. der Ruͤckſchritt nichts Anderes als der ſto¬ ckende Fortſchritt iſt; oder mit deutlicheren Wor¬ ten geſagt, wenn ein ſogenannter Fortſchritt nicht Stich haͤlt, ſo iſt er eben keiner geweſen.
Daher iſt der Grund und das Weſen einer Reaction nicht in ihr ſelbſt zu ſuchen, als in einer ſelbſtaͤndigen feindlichen Kraft, ſondern in der Unvollkommenheit des Fortſchrittes; denn es giebt nur Eine wirkliche Bewegung, diejenige nach vorwaͤrts; alle Voͤlker und Menſchen wollen vor¬ waͤrtsſchreiten auf ihre Weiſe, und die Reactio¬
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0100"n="90"/><p>Sodann lernte er die unruhigen Gegenſaͤtze<lb/>
von Hoffnung und Furcht, wie ſie durch Fort¬<lb/>ſchritt und Ruͤckſchritt in der Geſchichte wach ge¬<lb/>
halten werden, in ſich baͤndigen und ausgleichen,<lb/>
und zwar in Bezug auf den Theil davon, den<lb/>
die naͤchſte Zeit und der Einzelne ſelbſt erlebt.<lb/>
Er ſah, daß die Geſchichte nicht einem ſchlechten<lb/>
Romane gleicht, wo eine Anzahl gemuͤthlicher<lb/>
und tadelloſer Menſchen von der willkuͤrlichen<lb/>
Teufelei abſoluter Schurken gehemmt und ver¬<lb/>
wickelt wird, ſondern daß in ihr das Unheil eben<lb/>
nur der Luͤckenbuͤßer und Aehrenleſer des Heiles,<lb/>
d. h. der Ruͤckſchritt nichts Anderes als der ſto¬<lb/>
ckende Fortſchritt iſt; oder mit deutlicheren Wor¬<lb/>
ten geſagt, wenn ein ſogenannter Fortſchritt nicht<lb/>
Stich haͤlt, ſo iſt er eben keiner geweſen.</p><lb/><p>Daher iſt der Grund und das Weſen einer<lb/>
Reaction nicht in ihr ſelbſt zu ſuchen, als in<lb/>
einer ſelbſtaͤndigen feindlichen Kraft, ſondern in<lb/>
der Unvollkommenheit des Fortſchrittes; denn es<lb/>
giebt nur Eine wirkliche Bewegung, diejenige nach<lb/>
vorwaͤrts; alle Voͤlker und Menſchen wollen vor¬<lb/>
waͤrtsſchreiten auf ihre Weiſe, und die Reactio¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[90/0100]
Sodann lernte er die unruhigen Gegenſaͤtze
von Hoffnung und Furcht, wie ſie durch Fort¬
ſchritt und Ruͤckſchritt in der Geſchichte wach ge¬
halten werden, in ſich baͤndigen und ausgleichen,
und zwar in Bezug auf den Theil davon, den
die naͤchſte Zeit und der Einzelne ſelbſt erlebt.
Er ſah, daß die Geſchichte nicht einem ſchlechten
Romane gleicht, wo eine Anzahl gemuͤthlicher
und tadelloſer Menſchen von der willkuͤrlichen
Teufelei abſoluter Schurken gehemmt und ver¬
wickelt wird, ſondern daß in ihr das Unheil eben
nur der Luͤckenbuͤßer und Aehrenleſer des Heiles,
d. h. der Ruͤckſchritt nichts Anderes als der ſto¬
ckende Fortſchritt iſt; oder mit deutlicheren Wor¬
ten geſagt, wenn ein ſogenannter Fortſchritt nicht
Stich haͤlt, ſo iſt er eben keiner geweſen.
Daher iſt der Grund und das Weſen einer
Reaction nicht in ihr ſelbſt zu ſuchen, als in
einer ſelbſtaͤndigen feindlichen Kraft, ſondern in
der Unvollkommenheit des Fortſchrittes; denn es
giebt nur Eine wirkliche Bewegung, diejenige nach
vorwaͤrts; alle Voͤlker und Menſchen wollen vor¬
waͤrtsſchreiten auf ihre Weiſe, und die Reactio¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/100>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.