Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

unten warten. Doch bemerkte ich, daß er sich
nur an dem geheimsten und zugleich zugänglichsten
Ort des Hauses aufhielt, welches ein unange¬
nehmer Duft verrieth, den er an die frische Luft
mit sich brachte. Diese Narrenspossen, von einem
Manne mit so edlem und ernstem Aeußern, em¬
pörten mich um so mehr, da sie mit einer lächer¬
lichen Listigkeit betrieben wurden. Ein ander
Mal, nach dem Straßburger Attentat, als Frank¬
reich die Auslieferung des Urhebers Louis Na¬
poleon verlangte, mit Gewalt drohte und des¬
halb zum Schutze des Asylrechtes oder vielmehr
des Bürgerrechtes eine große Aufregung herrschte
und sogar schon Truppen aufgeboten wurden,
stellte er sich, als ob Thiers nur nach seinen,
des Schweizers, Vorschriften handelte und das
Ganze nur ein berechneter Zug in seinem großen
Schachspiele wäre. Dazumal hielt sich der be¬
sagte Prinz zwei Tage in der Stadt auf, um
seine Angelegenheit auch in unserm Canton zu
empfehlen; denn er hatte sich noch nicht ent¬
schlossen, freiwillig das Land zu verlassen. Wir
trafen ihn auf der Straße als einen jungen

unten warten. Doch bemerkte ich, daß er ſich
nur an dem geheimſten und zugleich zugaͤnglichſten
Ort des Hauſes aufhielt, welches ein unange¬
nehmer Duft verrieth, den er an die friſche Luft
mit ſich brachte. Dieſe Narrenspoſſen, von einem
Manne mit ſo edlem und ernſtem Aeußern, em¬
poͤrten mich um ſo mehr, da ſie mit einer laͤcher¬
lichen Liſtigkeit betrieben wurden. Ein ander
Mal, nach dem Straßburger Attentat, als Frank¬
reich die Auslieferung des Urhebers Louis Na¬
poleon verlangte, mit Gewalt drohte und des¬
halb zum Schutze des Aſylrechtes oder vielmehr
des Buͤrgerrechtes eine große Aufregung herrſchte
und ſogar ſchon Truppen aufgeboten wurden,
ſtellte er ſich, als ob Thiers nur nach ſeinen,
des Schweizers, Vorſchriften handelte und das
Ganze nur ein berechneter Zug in ſeinem großen
Schachſpiele waͤre. Dazumal hielt ſich der be¬
ſagte Prinz zwei Tage in der Stadt auf, um
ſeine Angelegenheit auch in unſerm Canton zu
empfehlen; denn er hatte ſich noch nicht ent¬
ſchloſſen, freiwillig das Land zu verlaſſen. Wir
trafen ihn auf der Straße als einen jungen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0098" n="88"/>
unten warten. Doch bemerkte ich, daß er &#x017F;ich<lb/>
nur an dem geheim&#x017F;ten und zugleich zuga&#x0364;nglich&#x017F;ten<lb/>
Ort des Hau&#x017F;es aufhielt, welches ein unange¬<lb/>
nehmer Duft verrieth, den er an die fri&#x017F;che Luft<lb/>
mit &#x017F;ich brachte. Die&#x017F;e Narrenspo&#x017F;&#x017F;en, von einem<lb/>
Manne mit &#x017F;o edlem und ern&#x017F;tem Aeußern, em¬<lb/>
po&#x0364;rten mich um &#x017F;o mehr, da &#x017F;ie mit einer la&#x0364;cher¬<lb/>
lichen Li&#x017F;tigkeit betrieben wurden. Ein ander<lb/>
Mal, nach dem Straßburger Attentat, als Frank¬<lb/>
reich die Auslieferung des Urhebers Louis Na¬<lb/>
poleon verlangte, mit Gewalt drohte und des¬<lb/>
halb zum Schutze des A&#x017F;ylrechtes oder vielmehr<lb/>
des Bu&#x0364;rgerrechtes eine große Aufregung herr&#x017F;chte<lb/>
und &#x017F;ogar &#x017F;chon Truppen aufgeboten wurden,<lb/>
&#x017F;tellte er &#x017F;ich, als ob Thiers nur nach &#x017F;einen,<lb/>
des Schweizers, Vor&#x017F;chriften handelte und das<lb/>
Ganze nur ein berechneter Zug in &#x017F;einem großen<lb/>
Schach&#x017F;piele wa&#x0364;re. Dazumal hielt &#x017F;ich der be¬<lb/>
&#x017F;agte Prinz zwei Tage in der Stadt auf, um<lb/>
&#x017F;eine Angelegenheit auch in un&#x017F;erm Canton zu<lb/>
empfehlen; denn er hatte &#x017F;ich noch nicht ent¬<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, freiwillig das Land zu verla&#x017F;&#x017F;en. Wir<lb/>
trafen ihn auf der Straße als einen jungen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0098] unten warten. Doch bemerkte ich, daß er ſich nur an dem geheimſten und zugleich zugaͤnglichſten Ort des Hauſes aufhielt, welches ein unange¬ nehmer Duft verrieth, den er an die friſche Luft mit ſich brachte. Dieſe Narrenspoſſen, von einem Manne mit ſo edlem und ernſtem Aeußern, em¬ poͤrten mich um ſo mehr, da ſie mit einer laͤcher¬ lichen Liſtigkeit betrieben wurden. Ein ander Mal, nach dem Straßburger Attentat, als Frank¬ reich die Auslieferung des Urhebers Louis Na¬ poleon verlangte, mit Gewalt drohte und des¬ halb zum Schutze des Aſylrechtes oder vielmehr des Buͤrgerrechtes eine große Aufregung herrſchte und ſogar ſchon Truppen aufgeboten wurden, ſtellte er ſich, als ob Thiers nur nach ſeinen, des Schweizers, Vorſchriften handelte und das Ganze nur ein berechneter Zug in ſeinem großen Schachſpiele waͤre. Dazumal hielt ſich der be¬ ſagte Prinz zwei Tage in der Stadt auf, um ſeine Angelegenheit auch in unſerm Canton zu empfehlen; denn er hatte ſich noch nicht ent¬ ſchloſſen, freiwillig das Land zu verlaſſen. Wir trafen ihn auf der Straße als einen jungen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/98
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/98>, abgerufen am 26.11.2024.