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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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übel, als man in Paris, London und Petersburg
leidlich verstehen konnte, was darunter gemeint
sei; die ausführliche Beschreibung meiner Be¬
scheidenheit hingegen war die erste Sonde, die
man an mich legte, um zu erfahren, ob ich das
volle Gefühl meiner Größe in mir trage. Ich
ging richtig in die Falle und warf dem unbe¬
scheidenen Geschäftsmacher seine Anmaßung vor,
indem ich ihm erklärte, ich sei gar nicht beschei¬
den und er habe kein Recht, dies von mir zu
sagen. Von diesem Tage an desavouirte mich
die große Welt öffentlich und fesselte mich an
mein unglückseliges Joch; denn sie fühlte wohl,
daß das Bewußtsein meiner Größe sie bald aus¬
einander blasen würde. Ich rathe Ihnen wohl¬
meinend, junger Mann! wenn einst ein einfältiger
Gönner von Ihnen sagen sollte, Sie seien ein be¬
scheidener Mensch, so widersprechen Sie nicht,
sonst sind Sie verloren!"

Ich verschwieg Römer's Irrsinn lange gegen
Jedermann und selbst gegen meine Mutter, weil
ich meine eigene Ehre dabei betheiligt glaubte,
wenn ein so trefflicher Lehrer und Künstler als

uͤbel, als man in Paris, London und Petersburg
leidlich verſtehen konnte, was darunter gemeint
ſei; die ausfuͤhrliche Beſchreibung meiner Be¬
ſcheidenheit hingegen war die erſte Sonde, die
man an mich legte, um zu erfahren, ob ich das
volle Gefuͤhl meiner Groͤße in mir trage. Ich
ging richtig in die Falle und warf dem unbe¬
ſcheidenen Geſchaͤftsmacher ſeine Anmaßung vor,
indem ich ihm erklaͤrte, ich ſei gar nicht beſchei¬
den und er habe kein Recht, dies von mir zu
ſagen. Von dieſem Tage an desavouirte mich
die große Welt oͤffentlich und feſſelte mich an
mein ungluͤckſeliges Joch; denn ſie fuͤhlte wohl,
daß das Bewußtſein meiner Groͤße ſie bald aus¬
einander blaſen wuͤrde. Ich rathe Ihnen wohl¬
meinend, junger Mann! wenn einſt ein einfaͤltiger
Goͤnner von Ihnen ſagen ſollte, Sie ſeien ein be¬
ſcheidener Menſch, ſo widerſprechen Sie nicht,
ſonſt ſind Sie verloren!«

Ich verſchwieg Roͤmer's Irrſinn lange gegen
Jedermann und ſelbſt gegen meine Mutter, weil
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[86/0096] uͤbel, als man in Paris, London und Petersburg leidlich verſtehen konnte, was darunter gemeint ſei; die ausfuͤhrliche Beſchreibung meiner Be¬ ſcheidenheit hingegen war die erſte Sonde, die man an mich legte, um zu erfahren, ob ich das volle Gefuͤhl meiner Groͤße in mir trage. Ich ging richtig in die Falle und warf dem unbe¬ ſcheidenen Geſchaͤftsmacher ſeine Anmaßung vor, indem ich ihm erklaͤrte, ich ſei gar nicht beſchei¬ den und er habe kein Recht, dies von mir zu ſagen. Von dieſem Tage an desavouirte mich die große Welt oͤffentlich und feſſelte mich an mein ungluͤckſeliges Joch; denn ſie fuͤhlte wohl, daß das Bewußtſein meiner Groͤße ſie bald aus¬ einander blaſen wuͤrde. Ich rathe Ihnen wohl¬ meinend, junger Mann! wenn einſt ein einfaͤltiger Goͤnner von Ihnen ſagen ſollte, Sie ſeien ein be¬ ſcheidener Menſch, ſo widerſprechen Sie nicht, ſonſt ſind Sie verloren!« Ich verſchwieg Roͤmer's Irrſinn lange gegen Jedermann und ſelbſt gegen meine Mutter, weil ich meine eigene Ehre dabei betheiligt glaubte, wenn ein ſo trefflicher Lehrer und Kuͤnſtler als

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/96>, abgerufen am 23.11.2024.