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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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um ihn durch solche Annehmlichkeit einzuschläfern
und ihn abzuhalten, eine eigene hohe Heirath
einzugehen, um seine Selbständigkeit zu verhin¬
dern, da, wie er behauptete, durch die feste Ver¬
bindung des Mannes mit dem Weibe, jener erst
seine volle Freiheit und Bedeutung erhielte. Wenn
daher in den Zeitungen eine wichtige politische
Heirath gemeldet wurde, so machte er sich für
eine kurze Zeit unsichtbar und überließ sich nach¬
her noch lange einer geheimnißvollen süßen Träu¬
merei, deren Schleier er mich nur mit verhüllten
Worten durchblicken ließ. Ich mußte mir als¬
dann die Möglichkeit vorzustellen suchen, wie er
an einem Tage an das entfernteste Ende Europas
und wieder zurückgelangen konnte.

Jedoch fiel aus dem Unsinne manch vernünf¬
tiges Gespräch, und die Erörterungen über sein
Unglück und die dasselbe veranlassenden Menschen
waren oft lehrreich. Einst sagte er: "Ich kann
mich ganz genau des Wendepunktes entsinnen, wo
mein Geschick sich verfinsterte. Ich war in Rom
und lag auf diesem alten Weltplatze meinen
tiefen Studien ob. Nebenbei betrieb ich die

um ihn durch ſolche Annehmlichkeit einzuſchlaͤfern
und ihn abzuhalten, eine eigene hohe Heirath
einzugehen, um ſeine Selbſtaͤndigkeit zu verhin¬
dern, da, wie er behauptete, durch die feſte Ver¬
bindung des Mannes mit dem Weibe, jener erſt
ſeine volle Freiheit und Bedeutung erhielte. Wenn
daher in den Zeitungen eine wichtige politiſche
Heirath gemeldet wurde, ſo machte er ſich fuͤr
eine kurze Zeit unſichtbar und uͤberließ ſich nach¬
her noch lange einer geheimnißvollen ſuͤßen Traͤu¬
merei, deren Schleier er mich nur mit verhuͤllten
Worten durchblicken ließ. Ich mußte mir als¬
dann die Moͤglichkeit vorzuſtellen ſuchen, wie er
an einem Tage an das entfernteſte Ende Europas
und wieder zuruͤckgelangen konnte.

Jedoch fiel aus dem Unſinne manch vernuͤnf¬
tiges Geſpraͤch, und die Eroͤrterungen uͤber ſein
Ungluͤck und die dasſelbe veranlaſſenden Menſchen
waren oft lehrreich. Einſt ſagte er: »Ich kann
mich ganz genau des Wendepunktes entſinnen, wo
mein Geſchick ſich verfinſterte. Ich war in Rom
und lag auf dieſem alten Weltplatze meinen
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[84/0094] um ihn durch ſolche Annehmlichkeit einzuſchlaͤfern und ihn abzuhalten, eine eigene hohe Heirath einzugehen, um ſeine Selbſtaͤndigkeit zu verhin¬ dern, da, wie er behauptete, durch die feſte Ver¬ bindung des Mannes mit dem Weibe, jener erſt ſeine volle Freiheit und Bedeutung erhielte. Wenn daher in den Zeitungen eine wichtige politiſche Heirath gemeldet wurde, ſo machte er ſich fuͤr eine kurze Zeit unſichtbar und uͤberließ ſich nach¬ her noch lange einer geheimnißvollen ſuͤßen Traͤu¬ merei, deren Schleier er mich nur mit verhuͤllten Worten durchblicken ließ. Ich mußte mir als¬ dann die Moͤglichkeit vorzuſtellen ſuchen, wie er an einem Tage an das entfernteſte Ende Europas und wieder zuruͤckgelangen konnte. Jedoch fiel aus dem Unſinne manch vernuͤnf¬ tiges Geſpraͤch, und die Eroͤrterungen uͤber ſein Ungluͤck und die dasſelbe veranlaſſenden Menſchen waren oft lehrreich. Einſt ſagte er: »Ich kann mich ganz genau des Wendepunktes entſinnen, wo mein Geſchick ſich verfinſterte. Ich war in Rom und lag auf dieſem alten Weltplatze meinen tiefen Studien ob. Nebenbei betrieb ich die

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/94>, abgerufen am 23.11.2024.