werfen, an welcher ich aber keinen Schatten eines Zweifels wahrnahm. Draußen zögerte ich wie¬ der, fand aber den Weg unbeirrt zu Judith's Gar¬ ten. Sie selbst mußte ich erst eine Weile suchen, weil sie, mich gleich am Eingange sehend, sich verbarg, in den Nebelwolken hin und her schlüpfte und dadurch selbst irre wurde, so daß sie zuletzt still stand und mir leise rief, bis ich sie fand. Wir machten Beide unwillkürlich eine Bewegung, uns in den Arm zu fallen, hielten uns aber zu¬ rück und gaben uns nur die Hand. Sie sam¬ melte immer noch Obst ein, aber nur die edleren Arten, welche an kleinen Bäumen wuchsen; das Uebrige verkaufte sie und ließ es von den Käu¬ fern selbst vom Baume nehmen. Ich half ihr einen Korb voll brechen und stieg auf einige Bäume, wo sie nicht hingelangen konnte. Aus Muthwillen stieg ich auch zu oberst auf einen ho¬ hen Apfelbaum, wo sie mich des Nebels wegen nicht mehr sehen konnte. Sie fragte mich unten, ob ich sie lieb hätte, und ich antwortete gleich¬ sam aus den Wolken mein Ja. Da rief sie schmeichelnd: "Ach, das ist ein schönes Lied, das
werfen, an welcher ich aber keinen Schatten eines Zweifels wahrnahm. Draußen zoͤgerte ich wie¬ der, fand aber den Weg unbeirrt zu Judith's Gar¬ ten. Sie ſelbſt mußte ich erſt eine Weile ſuchen, weil ſie, mich gleich am Eingange ſehend, ſich verbarg, in den Nebelwolken hin und her ſchluͤpfte und dadurch ſelbſt irre wurde, ſo daß ſie zuletzt ſtill ſtand und mir leiſe rief, bis ich ſie fand. Wir machten Beide unwillkuͤrlich eine Bewegung, uns in den Arm zu fallen, hielten uns aber zu¬ ruͤck und gaben uns nur die Hand. Sie ſam¬ melte immer noch Obſt ein, aber nur die edleren Arten, welche an kleinen Baͤumen wuchſen; das Uebrige verkaufte ſie und ließ es von den Kaͤu¬ fern ſelbſt vom Baume nehmen. Ich half ihr einen Korb voll brechen und ſtieg auf einige Baͤume, wo ſie nicht hingelangen konnte. Aus Muthwillen ſtieg ich auch zu oberſt auf einen ho¬ hen Apfelbaum, wo ſie mich des Nebels wegen nicht mehr ſehen konnte. Sie fragte mich unten, ob ich ſie lieb haͤtte, und ich antwortete gleich¬ ſam aus den Wolken mein Ja. Da rief ſie ſchmeichelnd: »Ach, das iſt ein ſchoͤnes Lied, das
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werfen, an welcher ich aber keinen Schatten eines
Zweifels wahrnahm. Draußen zoͤgerte ich wie¬
der, fand aber den Weg unbeirrt zu Judith's Gar¬
ten. Sie ſelbſt mußte ich erſt eine Weile ſuchen,
weil ſie, mich gleich am Eingange ſehend, ſich
verbarg, in den Nebelwolken hin und her ſchluͤpfte
und dadurch ſelbſt irre wurde, ſo daß ſie zuletzt
ſtill ſtand und mir leiſe rief, bis ich ſie fand.
Wir machten Beide unwillkuͤrlich eine Bewegung,
uns in den Arm zu fallen, hielten uns aber zu¬
ruͤck und gaben uns nur die Hand. Sie ſam¬
melte immer noch Obſt ein, aber nur die edleren
Arten, welche an kleinen Baͤumen wuchſen; das
Uebrige verkaufte ſie und ließ es von den Kaͤu¬
fern ſelbſt vom Baume nehmen. Ich half ihr
einen Korb voll brechen und ſtieg auf einige
Baͤume, wo ſie nicht hingelangen konnte. Aus
Muthwillen ſtieg ich auch zu oberſt auf einen ho¬
hen Apfelbaum, wo ſie mich des Nebels wegen
nicht mehr ſehen konnte. Sie fragte mich unten,
ob ich ſie lieb haͤtte, und ich antwortete gleich¬
ſam aus den Wolken mein Ja. Da rief ſie
ſchmeichelnd: »Ach, das iſt ein ſchoͤnes Lied, das
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/79>, abgerufen am 23.11.2024.
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