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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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mir sehen, Leute hörte ich immer, ohne sie zu er¬
blicken, aber zufälliger Weise traf ich Niemanden
auf meinen Wegen. Da kam ich zu einem offen
stehenden Pförtchen und entschloß mich, hindurch
zu gehen und alle Gehöfte gerade zu durchkreuzen,
um endlich wieder auf die Hauptstraße zu kom¬
men. Ich sah mich in einen prächtigen großen
Baumgarten versetzt, dessen Bäume alle voll der
schönsten reifen Früchte hingen. Man sah aber
immer nur einen Baum ganz deutlich, die näch¬
sten standen schon halb verschleiert im Kreise um¬
her, und dahinter schloß sich wieder die weiße
Wand des Nebels. Es war daher, als ob man
in einen weiten Tempel getreten, dessen Säulen
von Räucherwolken und Seidengeweben umhüllt
und von dessen Decke grüne Kränze mit goldenen
und rubinfarbigen Früchten herabhingen. Plötz¬
lich sah ich Judith mir entgegen kommen, welche
einen großen Korb mit Aepfeln gefüllt in beiden
Händen vor sich her trug, daß von der kräftigen
Last die Korbweiden leise knarrten. Das Ein¬
sammeln des Obstes war fast die einzige Arbeit,
der sie sich mit Liebe und Eifer hingab. Sie

mir ſehen, Leute hoͤrte ich immer, ohne ſie zu er¬
blicken, aber zufaͤlliger Weiſe traf ich Niemanden
auf meinen Wegen. Da kam ich zu einem offen
ſtehenden Pfoͤrtchen und entſchloß mich, hindurch
zu gehen und alle Gehoͤfte gerade zu durchkreuzen,
um endlich wieder auf die Hauptſtraße zu kom¬
men. Ich ſah mich in einen praͤchtigen großen
Baumgarten verſetzt, deſſen Baͤume alle voll der
ſchoͤnſten reifen Fruͤchte hingen. Man ſah aber
immer nur einen Baum ganz deutlich, die naͤch¬
ſten ſtanden ſchon halb verſchleiert im Kreiſe um¬
her, und dahinter ſchloß ſich wieder die weiße
Wand des Nebels. Es war daher, als ob man
in einen weiten Tempel getreten, deſſen Saͤulen
von Raͤucherwolken und Seidengeweben umhuͤllt
und von deſſen Decke gruͤne Kraͤnze mit goldenen
und rubinfarbigen Fruͤchten herabhingen. Ploͤtz¬
lich ſah ich Judith mir entgegen kommen, welche
einen großen Korb mit Aepfeln gefuͤllt in beiden
Haͤnden vor ſich her trug, daß von der kraͤftigen
Laſt die Korbweiden leiſe knarrten. Das Ein¬
ſammeln des Obſtes war faſt die einzige Arbeit,
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[60/0070] mir ſehen, Leute hoͤrte ich immer, ohne ſie zu er¬ blicken, aber zufaͤlliger Weiſe traf ich Niemanden auf meinen Wegen. Da kam ich zu einem offen ſtehenden Pfoͤrtchen und entſchloß mich, hindurch zu gehen und alle Gehoͤfte gerade zu durchkreuzen, um endlich wieder auf die Hauptſtraße zu kom¬ men. Ich ſah mich in einen praͤchtigen großen Baumgarten verſetzt, deſſen Baͤume alle voll der ſchoͤnſten reifen Fruͤchte hingen. Man ſah aber immer nur einen Baum ganz deutlich, die naͤch¬ ſten ſtanden ſchon halb verſchleiert im Kreiſe um¬ her, und dahinter ſchloß ſich wieder die weiße Wand des Nebels. Es war daher, als ob man in einen weiten Tempel getreten, deſſen Saͤulen von Raͤucherwolken und Seidengeweben umhuͤllt und von deſſen Decke gruͤne Kraͤnze mit goldenen und rubinfarbigen Fruͤchten herabhingen. Ploͤtz¬ lich ſah ich Judith mir entgegen kommen, welche einen großen Korb mit Aepfeln gefuͤllt in beiden Haͤnden vor ſich her trug, daß von der kraͤftigen Laſt die Korbweiden leiſe knarrten. Das Ein¬ ſammeln des Obſtes war faſt die einzige Arbeit, der ſie ſich mit Liebe und Eifer hingab. Sie

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/70>, abgerufen am 27.11.2024.