Scheiden und Verschwinden bewegte, wurde der Nebel plötzlich so dicht, daß ich nur noch das Gärtchen vor mir sehen konnte, und zuletzt ver¬ hüllte er auch dieses und drang feucht an das Fenster. Ich schloß dieses zu, trat aus der Kam¬ mer und fand die alte Katharine in der Küche an dem traulichen hellen Feuer.
Ich plauderte lange mit ihr; sie ergoß sich in zärtlichen Klagen über Anna's bedenklichen Zu¬ stand, berichtete mir, seit wann derselbe begon¬ nen, ohne daß ich jedoch über seine eigentliche Beschaffenheit klar wurde, da sie sich mancher dunkeln und geheimnißvollen Anspielung bediente. Dann begann sie mit rührender, aber ganz treff¬ licher Beredtsamkeit das Lob Anna's zu verkün¬ den und ihr bisheriges Leben zu beschauen bis in die Kinderjahre zurück, und ich sah deutlich vor mir das dreijährige Engelchen umherspringen, in genau beschriebener Kleidung, aber freilich auch ein frühes und leidenvolles Krankenlager, auf welches das kleine Wesen dann Jahre lang gelegt wurde, so daß ich nun ein schlo weißes, länglich¬ gestrecktes Leichnamchen erblickte, mit geduldigem,
Scheiden und Verſchwinden bewegte, wurde der Nebel ploͤtzlich ſo dicht, daß ich nur noch das Gaͤrtchen vor mir ſehen konnte, und zuletzt ver¬ huͤllte er auch dieſes und drang feucht an das Fenſter. Ich ſchloß dieſes zu, trat aus der Kam¬ mer und fand die alte Katharine in der Kuͤche an dem traulichen hellen Feuer.
Ich plauderte lange mit ihr; ſie ergoß ſich in zaͤrtlichen Klagen uͤber Anna's bedenklichen Zu¬ ſtand, berichtete mir, ſeit wann derſelbe begon¬ nen, ohne daß ich jedoch uͤber ſeine eigentliche Beſchaffenheit klar wurde, da ſie ſich mancher dunkeln und geheimnißvollen Anſpielung bediente. Dann begann ſie mit ruͤhrender, aber ganz treff¬ licher Beredtſamkeit das Lob Anna's zu verkuͤn¬ den und ihr bisheriges Leben zu beſchauen bis in die Kinderjahre zuruͤck, und ich ſah deutlich vor mir das dreijaͤhrige Engelchen umherſpringen, in genau beſchriebener Kleidung, aber freilich auch ein fruͤhes und leidenvolles Krankenlager, auf welches das kleine Weſen dann Jahre lang gelegt wurde, ſo daß ich nun ein ſchlo weißes, laͤnglich¬ geſtrecktes Leichnamchen erblickte, mit geduldigem,
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Scheiden und Verſchwinden bewegte, wurde der
Nebel ploͤtzlich ſo dicht, daß ich nur noch das
Gaͤrtchen vor mir ſehen konnte, und zuletzt ver¬
huͤllte er auch dieſes und drang feucht an das
Fenſter. Ich ſchloß dieſes zu, trat aus der Kam¬
mer und fand die alte Katharine in der Kuͤche an
dem traulichen hellen Feuer.
Ich plauderte lange mit ihr; ſie ergoß ſich in
zaͤrtlichen Klagen uͤber Anna's bedenklichen Zu¬
ſtand, berichtete mir, ſeit wann derſelbe begon¬
nen, ohne daß ich jedoch uͤber ſeine eigentliche
Beſchaffenheit klar wurde, da ſie ſich mancher
dunkeln und geheimnißvollen Anſpielung bediente.
Dann begann ſie mit ruͤhrender, aber ganz treff¬
licher Beredtſamkeit das Lob Anna's zu verkuͤn¬
den und ihr bisheriges Leben zu beſchauen bis in
die Kinderjahre zuruͤck, und ich ſah deutlich vor
mir das dreijaͤhrige Engelchen umherſpringen, in
genau beſchriebener Kleidung, aber freilich auch
ein fruͤhes und leidenvolles Krankenlager, auf
welches das kleine Weſen dann Jahre lang gelegt
wurde, ſo daß ich nun ein ſchlo weißes, laͤnglich¬
geſtrecktes Leichnamchen erblickte, mit geduldigem,
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/66>, abgerufen am 23.11.2024.
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