Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

schweigsamer waren, so hatte ich Zeit, darüber
nachzudenken, was ich thun wollte.

Je unmöglicher es mir schien, mein Verspre¬
chen zu halten, je weniger ich das Wesen, wel¬
ches ich mir zur Seite fühlte und das sich nun
sanft an mich lehnte, auch nur im Gedanken be¬
leidigen und hintergehen mochte, desto dringender
ward auf der andern Seite die Ueberzeugung,
daß ich am Ende doch mein Wort halten müsse,
da mich Judith nur im Vertrauen auf dasselbe
in jener Nacht entlassen, und ich nahm keinen An¬
stand, mir einzubilden, daß das Brechen desselben
sie kränken und ihr weh thun würde. Ich mochte
um Alles in der Welt gerade vor ihr nicht un¬
männlich als Einer erscheinen, welcher aus Furcht
ein Versprechen gäbe und aus Furcht dasselbe
bräche. Da fand ich einen sehr klugen Ausweg,
wie ich dachte, der mich wenigstens vor mir selbst
rechtfertigen sollte. Ich brauchte nur bei dem
Schulmeister zu wohnen, so war ich nicht im
Dorfe, und wenn ich am Tage dasselbe besuchte,
so brauchte ich Judith nicht zu sehen, welche sich
nur meinen nächtlichen und geheimen Besuch wäh¬

ſchweigſamer waren, ſo hatte ich Zeit, daruͤber
nachzudenken, was ich thun wollte.

Je unmoͤglicher es mir ſchien, mein Verſpre¬
chen zu halten, je weniger ich das Weſen, wel¬
ches ich mir zur Seite fuͤhlte und das ſich nun
ſanft an mich lehnte, auch nur im Gedanken be¬
leidigen und hintergehen mochte, deſto dringender
ward auf der andern Seite die Ueberzeugung,
daß ich am Ende doch mein Wort halten muͤſſe,
da mich Judith nur im Vertrauen auf daſſelbe
in jener Nacht entlaſſen, und ich nahm keinen An¬
ſtand, mir einzubilden, daß das Brechen deſſelben
ſie kraͤnken und ihr weh thun wuͤrde. Ich mochte
um Alles in der Welt gerade vor ihr nicht un¬
maͤnnlich als Einer erſcheinen, welcher aus Furcht
ein Verſprechen gaͤbe und aus Furcht daſſelbe
braͤche. Da fand ich einen ſehr klugen Ausweg,
wie ich dachte, der mich wenigſtens vor mir ſelbſt
rechtfertigen ſollte. Ich brauchte nur bei dem
Schulmeiſter zu wohnen, ſo war ich nicht im
Dorfe, und wenn ich am Tage daſſelbe beſuchte,
ſo brauchte ich Judith nicht zu ſehen, welche ſich
nur meinen naͤchtlichen und geheimen Beſuch waͤh¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0062" n="52"/>
&#x017F;chweig&#x017F;amer waren, &#x017F;o hatte ich Zeit, daru&#x0364;ber<lb/>
nachzudenken, was ich thun wollte.</p><lb/>
        <p>Je unmo&#x0364;glicher es mir &#x017F;chien, mein Ver&#x017F;pre¬<lb/>
chen zu halten, je weniger ich das We&#x017F;en, wel¬<lb/>
ches ich mir zur Seite fu&#x0364;hlte und das &#x017F;ich nun<lb/>
&#x017F;anft an mich lehnte, auch nur im Gedanken be¬<lb/>
leidigen und hintergehen mochte, de&#x017F;to dringender<lb/>
ward auf der andern Seite die Ueberzeugung,<lb/>
daß ich am Ende doch mein Wort halten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
da mich Judith nur im Vertrauen auf da&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
in jener Nacht entla&#x017F;&#x017F;en, und ich nahm keinen An¬<lb/>
&#x017F;tand, mir einzubilden, daß das Brechen de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
&#x017F;ie kra&#x0364;nken und ihr weh thun wu&#x0364;rde. Ich mochte<lb/>
um Alles in der Welt gerade vor ihr nicht un¬<lb/>
ma&#x0364;nnlich als Einer er&#x017F;cheinen, welcher aus Furcht<lb/>
ein Ver&#x017F;prechen ga&#x0364;be und aus Furcht da&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
bra&#x0364;che. Da fand ich einen &#x017F;ehr klugen Ausweg,<lb/>
wie ich dachte, der mich wenig&#x017F;tens vor mir &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
rechtfertigen &#x017F;ollte. Ich brauchte nur bei dem<lb/>
Schulmei&#x017F;ter zu wohnen, &#x017F;o war ich nicht im<lb/>
Dorfe, und wenn ich am Tage da&#x017F;&#x017F;elbe be&#x017F;uchte,<lb/>
&#x017F;o brauchte ich Judith nicht zu &#x017F;ehen, welche &#x017F;ich<lb/>
nur meinen na&#x0364;chtlichen und geheimen Be&#x017F;uch wa&#x0364;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0062] ſchweigſamer waren, ſo hatte ich Zeit, daruͤber nachzudenken, was ich thun wollte. Je unmoͤglicher es mir ſchien, mein Verſpre¬ chen zu halten, je weniger ich das Weſen, wel¬ ches ich mir zur Seite fuͤhlte und das ſich nun ſanft an mich lehnte, auch nur im Gedanken be¬ leidigen und hintergehen mochte, deſto dringender ward auf der andern Seite die Ueberzeugung, daß ich am Ende doch mein Wort halten muͤſſe, da mich Judith nur im Vertrauen auf daſſelbe in jener Nacht entlaſſen, und ich nahm keinen An¬ ſtand, mir einzubilden, daß das Brechen deſſelben ſie kraͤnken und ihr weh thun wuͤrde. Ich mochte um Alles in der Welt gerade vor ihr nicht un¬ maͤnnlich als Einer erſcheinen, welcher aus Furcht ein Verſprechen gaͤbe und aus Furcht daſſelbe braͤche. Da fand ich einen ſehr klugen Ausweg, wie ich dachte, der mich wenigſtens vor mir ſelbſt rechtfertigen ſollte. Ich brauchte nur bei dem Schulmeiſter zu wohnen, ſo war ich nicht im Dorfe, und wenn ich am Tage daſſelbe beſuchte, ſo brauchte ich Judith nicht zu ſehen, welche ſich nur meinen naͤchtlichen und geheimen Beſuch waͤh¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/62
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/62>, abgerufen am 23.11.2024.