merksam zu beschauen; auf dem Ruhbett sitzend, ließ sie sich Alles von mir vorlegen und erklä¬ ren. Während sie auf meine Landschaften sah, blickte ich auf sie nieder, manchmal mußte ich mich beugen, manchmal hielten wir ein Blatt zusammen in den Händen lange Zeit, doch er¬ eignete sich sonst gar nichts Zärtliches zwischen uns; denn während sie für mich nun wieder ein anderes Wesen war und ich mich scheute, sie nur von ferne zu verletzen, häufte sie alle Aeußerungen der Freude, der Aufmerksamkeit und sogar der Ehrenbezeugung allein auf meine Arbeiten, sah sie fort und fort an und wollte sich gar nicht von denselben trennen, während sie mich selbst nur wenig ansah.
Plötzlich sagte sie: "Unsere Tante im Pfarr¬ haus läßt Dir sagen, Du sollest mit uns sogleich hinausfahren, sonst sei sie böse! Willst Du?" Ich erwiederte: "Ja, jetzt kann ich schon!" und setzte hinzu: "Was fehlt Dir denn eigentlich?" "Ach, ich weiß es selbst nicht, ich bin immer müde und leide manchmal ein wenig; die Anderen machen mehr daraus, als ich selbst!"
merkſam zu beſchauen; auf dem Ruhbett ſitzend, ließ ſie ſich Alles von mir vorlegen und erklaͤ¬ ren. Waͤhrend ſie auf meine Landſchaften ſah, blickte ich auf ſie nieder, manchmal mußte ich mich beugen, manchmal hielten wir ein Blatt zuſammen in den Haͤnden lange Zeit, doch er¬ eignete ſich ſonſt gar nichts Zaͤrtliches zwiſchen uns; denn waͤhrend ſie fuͤr mich nun wieder ein anderes Weſen war und ich mich ſcheute, ſie nur von ferne zu verletzen, haͤufte ſie alle Aeußerungen der Freude, der Aufmerkſamkeit und ſogar der Ehrenbezeugung allein auf meine Arbeiten, ſah ſie fort und fort an und wollte ſich gar nicht von denſelben trennen, waͤhrend ſie mich ſelbſt nur wenig anſah.
Ploͤtzlich ſagte ſie: »Unſere Tante im Pfarr¬ haus laͤßt Dir ſagen, Du ſolleſt mit uns ſogleich hinausfahren, ſonſt ſei ſie boͤſe! Willſt Du?« Ich erwiederte: »Ja, jetzt kann ich ſchon!« und ſetzte hinzu: »Was fehlt Dir denn eigentlich?« »Ach, ich weiß es ſelbſt nicht, ich bin immer muͤde und leide manchmal ein wenig; die Anderen machen mehr daraus, als ich ſelbſt!«
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0058"n="48"/>
merkſam zu beſchauen; auf dem Ruhbett ſitzend,<lb/>
ließ ſie ſich Alles von mir vorlegen und erklaͤ¬<lb/>
ren. Waͤhrend ſie auf meine Landſchaften ſah,<lb/>
blickte ich auf ſie nieder, manchmal mußte ich<lb/>
mich beugen, manchmal hielten wir ein Blatt<lb/>
zuſammen in den Haͤnden lange Zeit, doch er¬<lb/>
eignete ſich ſonſt gar nichts Zaͤrtliches zwiſchen<lb/>
uns; denn waͤhrend ſie fuͤr mich nun wieder ein<lb/>
anderes Weſen war und ich mich ſcheute, ſie nur<lb/>
von ferne zu verletzen, haͤufte ſie alle Aeußerungen<lb/>
der Freude, der Aufmerkſamkeit und ſogar der<lb/>
Ehrenbezeugung allein auf meine Arbeiten,<lb/>ſah ſie fort und fort an und wollte ſich gar nicht<lb/>
von denſelben trennen, waͤhrend ſie mich ſelbſt nur<lb/>
wenig anſah.</p><lb/><p>Ploͤtzlich ſagte ſie: »Unſere Tante im Pfarr¬<lb/>
haus laͤßt Dir ſagen, Du ſolleſt mit uns ſogleich<lb/>
hinausfahren, ſonſt ſei ſie boͤſe! Willſt Du?«<lb/>
Ich erwiederte: »Ja, jetzt kann ich ſchon!« und<lb/>ſetzte hinzu: »Was fehlt Dir denn eigentlich?«<lb/>
»Ach, ich weiß es ſelbſt nicht, ich bin immer<lb/>
muͤde und leide manchmal ein wenig; die Anderen<lb/>
machen mehr daraus, als ich ſelbſt!«<lb/></p></div></body></text></TEI>
[48/0058]
merkſam zu beſchauen; auf dem Ruhbett ſitzend,
ließ ſie ſich Alles von mir vorlegen und erklaͤ¬
ren. Waͤhrend ſie auf meine Landſchaften ſah,
blickte ich auf ſie nieder, manchmal mußte ich
mich beugen, manchmal hielten wir ein Blatt
zuſammen in den Haͤnden lange Zeit, doch er¬
eignete ſich ſonſt gar nichts Zaͤrtliches zwiſchen
uns; denn waͤhrend ſie fuͤr mich nun wieder ein
anderes Weſen war und ich mich ſcheute, ſie nur
von ferne zu verletzen, haͤufte ſie alle Aeußerungen
der Freude, der Aufmerkſamkeit und ſogar der
Ehrenbezeugung allein auf meine Arbeiten,
ſah ſie fort und fort an und wollte ſich gar nicht
von denſelben trennen, waͤhrend ſie mich ſelbſt nur
wenig anſah.
Ploͤtzlich ſagte ſie: »Unſere Tante im Pfarr¬
haus laͤßt Dir ſagen, Du ſolleſt mit uns ſogleich
hinausfahren, ſonſt ſei ſie boͤſe! Willſt Du?«
Ich erwiederte: »Ja, jetzt kann ich ſchon!« und
ſetzte hinzu: »Was fehlt Dir denn eigentlich?«
»Ach, ich weiß es ſelbſt nicht, ich bin immer
muͤde und leide manchmal ein wenig; die Anderen
machen mehr daraus, als ich ſelbſt!«
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/58>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.