einer schönen vollen Römerin oder Albanerin dunkeläugig glänzte, so trat unversehens Judith's Bild vor mich und wich nicht von mir, bis es, von selbst Anna's Gestalt hervorrufend, von dieser verdrängt wurde. Wenn ich eine blendend weiße Säulenreihe ansah und mit lebendiger Phantasie das Weben der heißen Luft zu fühlen glaubte, in welcher sie stand, so schien Judith plötzlich hinter einer Säule hervorzutreten, langsam die verfallenden Tempelstufen herabzusteigen und, mir winkend, in ein blühendes Oleandergebüsch zu verschwinden, unter welchem eine klare Quelle hervorfloß. Folgten meine Gedanken aber dahin, so sahen sie Anna im grünen Kleide an der Quelle sitzen, das silberne Krönchen auf dem Kopfe und silberblinkende Thränchen vergießend.
Der Herbst war gekommen, und als ich eines Mittags zum Essen nach Hause ging und in unsere Stube trat, sah ich auf dem Ruhbettchen einen schwarz seidenen Mantel liegen. Freudig betroffen eilte ich auf denselben zu, hob das leichte angenehme Ding in die Höhe und besah es von allen Seiten, auf der Stelle Anna's
einer ſchoͤnen vollen Roͤmerin oder Albanerin dunkelaͤugig glaͤnzte, ſo trat unverſehens Judith's Bild vor mich und wich nicht von mir, bis es, von ſelbſt Anna's Geſtalt hervorrufend, von dieſer verdraͤngt wurde. Wenn ich eine blendend weiße Saͤulenreihe anſah und mit lebendiger Phantaſie das Weben der heißen Luft zu fuͤhlen glaubte, in welcher ſie ſtand, ſo ſchien Judith ploͤtzlich hinter einer Saͤule hervorzutreten, langſam die verfallenden Tempelſtufen herabzuſteigen und, mir winkend, in ein bluͤhendes Oleandergebuͤſch zu verſchwinden, unter welchem eine klare Quelle hervorfloß. Folgten meine Gedanken aber dahin, ſo ſahen ſie Anna im gruͤnen Kleide an der Quelle ſitzen, das ſilberne Kroͤnchen auf dem Kopfe und ſilberblinkende Thraͤnchen vergießend.
Der Herbſt war gekommen, und als ich eines Mittags zum Eſſen nach Hauſe ging und in unſere Stube trat, ſah ich auf dem Ruhbettchen einen ſchwarz ſeidenen Mantel liegen. Freudig betroffen eilte ich auf denſelben zu, hob das leichte angenehme Ding in die Hoͤhe und beſah es von allen Seiten, auf der Stelle Anna's
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einer ſchoͤnen vollen Roͤmerin oder Albanerin
dunkelaͤugig glaͤnzte, ſo trat unverſehens Judith's
Bild vor mich und wich nicht von mir, bis es,
von ſelbſt Anna's Geſtalt hervorrufend, von dieſer
verdraͤngt wurde. Wenn ich eine blendend weiße
Saͤulenreihe anſah und mit lebendiger Phantaſie
das Weben der heißen Luft zu fuͤhlen glaubte,
in welcher ſie ſtand, ſo ſchien Judith ploͤtzlich
hinter einer Saͤule hervorzutreten, langſam die
verfallenden Tempelſtufen herabzuſteigen und, mir
winkend, in ein bluͤhendes Oleandergebuͤſch zu
verſchwinden, unter welchem eine klare Quelle
hervorfloß. Folgten meine Gedanken aber dahin,
ſo ſahen ſie Anna im gruͤnen Kleide an der
Quelle ſitzen, das ſilberne Kroͤnchen auf dem
Kopfe und ſilberblinkende Thraͤnchen vergießend.
Der Herbſt war gekommen, und als ich eines
Mittags zum Eſſen nach Hauſe ging und in
unſere Stube trat, ſah ich auf dem Ruhbettchen
einen ſchwarz ſeidenen Mantel liegen. Freudig
betroffen eilte ich auf denſelben zu, hob das
leichte angenehme Ding in die Hoͤhe und beſah
es von allen Seiten, auf der Stelle Anna's
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/53>, abgerufen am 23.11.2024.
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