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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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vermuthet, während das schöne Reh in Schu߬
weite vor ihm hinspringt.

Ferdinand aber verlor nun keine Zeit mehr,
sondern verschwand unversehens aus dem Saale,
als er gesehen, daß Rosalie sich wiederum entfernt
habe. Sobald er auf dem Gange war, folgte er
ihr mit stürmischen Schritten, daß seine assyrischen
Gewänder nur so flogen, erreichte sie in einem
abgelegenen stillen Zimmerchen, welches zur Som¬
merzeit ihr Boudoir war, ergriff ihre beiden
Hände und begann dieselben leidenschaftlich zu
küssen. Sie hatte gehofft, daß Erikson hinter ihr
her käme; aber bald erkannte sie an dem leichten
Schritte, daß er es nicht sei, und wußte nun in
der Verwirrung nicht sogleich, was sie anfangen
sollte.

Doch entzog sie ihm die Hände, indessen er
sagte: "Schönste Frau! Sie haben zwei Glück¬
liche gemacht! Beglücken Sie den dritten, indem
Sie mir erlauben, Ihnen zu sagen, wie tief ich
von Ihrer Schönheit und Anmuth, von Ihrem
ganzen Wesen ergriffen bin!"

Rosalie zappelte mit ihren Händchen, ihn

vermuthet, waͤhrend das ſchoͤne Reh in Schu߬
weite vor ihm hinſpringt.

Ferdinand aber verlor nun keine Zeit mehr,
ſondern verſchwand unverſehens aus dem Saale,
als er geſehen, daß Roſalie ſich wiederum entfernt
habe. Sobald er auf dem Gange war, folgte er
ihr mit ſtuͤrmiſchen Schritten, daß ſeine aſſyriſchen
Gewaͤnder nur ſo flogen, erreichte ſie in einem
abgelegenen ſtillen Zimmerchen, welches zur Som¬
merzeit ihr Boudoir war, ergriff ihre beiden
Haͤnde und begann dieſelben leidenſchaftlich zu
kuͤſſen. Sie hatte gehofft, daß Erikſon hinter ihr
her kaͤme; aber bald erkannte ſie an dem leichten
Schritte, daß er es nicht ſei, und wußte nun in
der Verwirrung nicht ſogleich, was ſie anfangen
ſollte.

Doch entzog ſie ihm die Haͤnde, indeſſen er
ſagte: »Schoͤnſte Frau! Sie haben zwei Gluͤck¬
liche gemacht! Begluͤcken Sie den dritten, indem
Sie mir erlauben, Ihnen zu ſagen, wie tief ich
von Ihrer Schoͤnheit und Anmuth, von Ihrem
ganzen Weſen ergriffen bin!«

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[329/0339] vermuthet, waͤhrend das ſchoͤne Reh in Schu߬ weite vor ihm hinſpringt. Ferdinand aber verlor nun keine Zeit mehr, ſondern verſchwand unverſehens aus dem Saale, als er geſehen, daß Roſalie ſich wiederum entfernt habe. Sobald er auf dem Gange war, folgte er ihr mit ſtuͤrmiſchen Schritten, daß ſeine aſſyriſchen Gewaͤnder nur ſo flogen, erreichte ſie in einem abgelegenen ſtillen Zimmerchen, welches zur Som¬ merzeit ihr Boudoir war, ergriff ihre beiden Haͤnde und begann dieſelben leidenſchaftlich zu kuͤſſen. Sie hatte gehofft, daß Erikſon hinter ihr her kaͤme; aber bald erkannte ſie an dem leichten Schritte, daß er es nicht ſei, und wußte nun in der Verwirrung nicht ſogleich, was ſie anfangen ſollte. Doch entzog ſie ihm die Haͤnde, indeſſen er ſagte: »Schoͤnſte Frau! Sie haben zwei Gluͤck¬ liche gemacht! Begluͤcken Sie den dritten, indem Sie mir erlauben, Ihnen zu ſagen, wie tief ich von Ihrer Schoͤnheit und Anmuth, von Ihrem ganzen Weſen ergriffen bin!« Roſalie zappelte mit ihren Haͤndchen, ihn

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/339>, abgerufen am 22.11.2024.