Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

von einem früheren Jahrtausend unterschied, näm¬
lich das der Buchdrucker und Formschneider, welche
für Wort und Bild die Schleusen der unendlichen
Vervielfältigung aufthaten und den Strom los¬
ließen, der nun die Welt überschwemmt. Vor
bald vierhundert Jahren haben sie den Zapfen
ausgestoßen, daß das Brünnlein sprang, und wo
stehen wir jetzt? Es ist ein großes unentbehrliches
Mittel geworden, welches der Unsinn ebenso be¬
hende braucht, als die Vernunft; es ist die Luft,
welche der Gerechte, wie der Ungerechte athmet,
und der Tischklopfer badet sich so munter und un¬
befangen in seiner Fluth, wie der Sperling im
Bache. Weit hinter dieser Fluth ist die lang¬
same aber stäte Bewegung des eigentlichen Gei¬
stes geblieben, des Geistes, der nicht auf dem
Papier, sondern in Fleisch und Blut lebt und sich
nur von Leib zu Leib, von Auge zu Auge, von
Ohr zu Ohr mittheilt, überzeugt, trennt und einigt.

Auch hier kommt zuletzt alles wieder auf den
persönlichen Menschen an, wie er leibt und lebt
und zu dem Anderen hintritt mit seiner Wahrheit
oder Täuschung.

von einem fruͤheren Jahrtauſend unterſchied, naͤm¬
lich das der Buchdrucker und Formſchneider, welche
fuͤr Wort und Bild die Schleuſen der unendlichen
Vervielfaͤltigung aufthaten und den Strom los¬
ließen, der nun die Welt uͤberſchwemmt. Vor
bald vierhundert Jahren haben ſie den Zapfen
ausgeſtoßen, daß das Bruͤnnlein ſprang, und wo
ſtehen wir jetzt? Es iſt ein großes unentbehrliches
Mittel geworden, welches der Unſinn ebenſo be¬
hende braucht, als die Vernunft; es iſt die Luft,
welche der Gerechte, wie der Ungerechte athmet,
und der Tiſchklopfer badet ſich ſo munter und un¬
befangen in ſeiner Fluth, wie der Sperling im
Bache. Weit hinter dieſer Fluth iſt die lang¬
ſame aber ſtaͤte Bewegung des eigentlichen Gei¬
ſtes geblieben, des Geiſtes, der nicht auf dem
Papier, ſondern in Fleiſch und Blut lebt und ſich
nur von Leib zu Leib, von Auge zu Auge, von
Ohr zu Ohr mittheilt, uͤberzeugt, trennt und einigt.

Auch hier kommt zuletzt alles wieder auf den
perſoͤnlichen Menſchen an, wie er leibt und lebt
und zu dem Anderen hintritt mit ſeiner Wahrheit
oder Taͤuſchung.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0254" n="244"/>
von einem fru&#x0364;heren Jahrtau&#x017F;end unter&#x017F;chied, na&#x0364;<lb/>
lich das der Buchdrucker und Form&#x017F;chneider, welche<lb/>
fu&#x0364;r Wort und Bild die Schleu&#x017F;en der unendlichen<lb/>
Vervielfa&#x0364;ltigung aufthaten und den Strom los¬<lb/>
ließen, der nun die Welt u&#x0364;ber&#x017F;chwemmt. Vor<lb/>
bald vierhundert Jahren haben &#x017F;ie den Zapfen<lb/>
ausge&#x017F;toßen, daß das Bru&#x0364;nnlein &#x017F;prang, und wo<lb/>
&#x017F;tehen wir jetzt? Es i&#x017F;t ein großes unentbehrliches<lb/>
Mittel geworden, welches der Un&#x017F;inn eben&#x017F;o be¬<lb/>
hende braucht, als die Vernunft; es i&#x017F;t die Luft,<lb/>
welche der Gerechte, wie der Ungerechte athmet,<lb/>
und der Ti&#x017F;chklopfer badet &#x017F;ich &#x017F;o munter und un¬<lb/>
befangen in &#x017F;einer Fluth, wie der Sperling im<lb/>
Bache. Weit hinter die&#x017F;er Fluth i&#x017F;t die lang¬<lb/>
&#x017F;ame aber &#x017F;ta&#x0364;te Bewegung des eigentlichen Gei¬<lb/>
&#x017F;tes geblieben, des Gei&#x017F;tes, der nicht auf dem<lb/>
Papier, &#x017F;ondern in Flei&#x017F;ch und Blut lebt und &#x017F;ich<lb/>
nur von Leib zu Leib, von Auge zu Auge, von<lb/>
Ohr zu Ohr mittheilt, u&#x0364;berzeugt, trennt und einigt.<lb/></p>
        <p>Auch hier kommt zuletzt alles wieder auf den<lb/>
per&#x017F;o&#x0364;nlichen Men&#x017F;chen an, wie er leibt und lebt<lb/>
und zu dem Anderen hintritt mit &#x017F;einer Wahrheit<lb/>
oder Ta&#x0364;u&#x017F;chung.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0254] von einem fruͤheren Jahrtauſend unterſchied, naͤm¬ lich das der Buchdrucker und Formſchneider, welche fuͤr Wort und Bild die Schleuſen der unendlichen Vervielfaͤltigung aufthaten und den Strom los¬ ließen, der nun die Welt uͤberſchwemmt. Vor bald vierhundert Jahren haben ſie den Zapfen ausgeſtoßen, daß das Bruͤnnlein ſprang, und wo ſtehen wir jetzt? Es iſt ein großes unentbehrliches Mittel geworden, welches der Unſinn ebenſo be¬ hende braucht, als die Vernunft; es iſt die Luft, welche der Gerechte, wie der Ungerechte athmet, und der Tiſchklopfer badet ſich ſo munter und un¬ befangen in ſeiner Fluth, wie der Sperling im Bache. Weit hinter dieſer Fluth iſt die lang¬ ſame aber ſtaͤte Bewegung des eigentlichen Gei¬ ſtes geblieben, des Geiſtes, der nicht auf dem Papier, ſondern in Fleiſch und Blut lebt und ſich nur von Leib zu Leib, von Auge zu Auge, von Ohr zu Ohr mittheilt, uͤberzeugt, trennt und einigt. Auch hier kommt zuletzt alles wieder auf den perſoͤnlichen Menſchen an, wie er leibt und lebt und zu dem Anderen hintritt mit ſeiner Wahrheit oder Taͤuſchung.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/254
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/254>, abgerufen am 25.11.2024.