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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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als kennte er dergleichen nicht, und der erwachende
Trotz verschloß ihr den Mund. Hundertmal
liebkoste sie ihn jetzt und hielt sich dann ein Weil¬
chen geduckt und still, damit er das Kosen erwi¬
dern solle, und sie war nicht mehr bereit, zornig
davon zu fliehen; allein er rührte sich nicht und
ertrug das ungeduldige Spiel des schmalen
schlangenähnlichen Körpers mit der größten
Standhaftigkeit. Dennoch sah die Arme recht
gut, daß er mit ganz anderen Gefühlen zu ihr
kam, als mit denen eines Bruders oder schul¬
meisterlichen Freundes, und sah wohl das verhal¬
tene Feuer in seinen Augen, wenn sie ihm nahe
trat und das unablässig betrachtende Wohlgefallen,
wenn sie umherging; und sie war nur bekümmert,
den Grund seines Betragens nicht zu kennen und
fürchtete, da sie die Welt nicht kannte, ihr ver¬
borgene, unheilvolle Dinge, die gar in ihr selbst
lägen, dürften ihrem Glücke im Wege stehen.

In dem Maße aber, in welchem sie täglich
verliebter und trauriger wurde, gewann ihr
Wesen an Entschiedenheit und Klugheit, und im
gleichen Maße wuchs die Verlegenheit Ferdinand's;

als kennte er dergleichen nicht, und der erwachende
Trotz verſchloß ihr den Mund. Hundertmal
liebkoſte ſie ihn jetzt und hielt ſich dann ein Weil¬
chen geduckt und ſtill, damit er das Koſen erwi¬
dern ſolle, und ſie war nicht mehr bereit, zornig
davon zu fliehen; allein er ruͤhrte ſich nicht und
ertrug das ungeduldige Spiel des ſchmalen
ſchlangenaͤhnlichen Koͤrpers mit der groͤßten
Standhaftigkeit. Dennoch ſah die Arme recht
gut, daß er mit ganz anderen Gefuͤhlen zu ihr
kam, als mit denen eines Bruders oder ſchul¬
meiſterlichen Freundes, und ſah wohl das verhal¬
tene Feuer in ſeinen Augen, wenn ſie ihm nahe
trat und das unablaͤſſig betrachtende Wohlgefallen,
wenn ſie umherging; und ſie war nur bekuͤmmert,
den Grund ſeines Betragens nicht zu kennen und
fuͤrchtete, da ſie die Welt nicht kannte, ihr ver¬
borgene, unheilvolle Dinge, die gar in ihr ſelbſt
laͤgen, duͤrften ihrem Gluͤcke im Wege ſtehen.

In dem Maße aber, in welchem ſie taͤglich
verliebter und trauriger wurde, gewann ihr
Weſen an Entſchiedenheit und Klugheit, und im
gleichen Maße wuchs die Verlegenheit Ferdinand's;

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[224/0234] als kennte er dergleichen nicht, und der erwachende Trotz verſchloß ihr den Mund. Hundertmal liebkoſte ſie ihn jetzt und hielt ſich dann ein Weil¬ chen geduckt und ſtill, damit er das Koſen erwi¬ dern ſolle, und ſie war nicht mehr bereit, zornig davon zu fliehen; allein er ruͤhrte ſich nicht und ertrug das ungeduldige Spiel des ſchmalen ſchlangenaͤhnlichen Koͤrpers mit der groͤßten Standhaftigkeit. Dennoch ſah die Arme recht gut, daß er mit ganz anderen Gefuͤhlen zu ihr kam, als mit denen eines Bruders oder ſchul¬ meiſterlichen Freundes, und ſah wohl das verhal¬ tene Feuer in ſeinen Augen, wenn ſie ihm nahe trat und das unablaͤſſig betrachtende Wohlgefallen, wenn ſie umherging; und ſie war nur bekuͤmmert, den Grund ſeines Betragens nicht zu kennen und fuͤrchtete, da ſie die Welt nicht kannte, ihr ver¬ borgene, unheilvolle Dinge, die gar in ihr ſelbſt laͤgen, duͤrften ihrem Gluͤcke im Wege ſtehen. In dem Maße aber, in welchem ſie taͤglich verliebter und trauriger wurde, gewann ihr Weſen an Entſchiedenheit und Klugheit, und im gleichen Maße wuchs die Verlegenheit Ferdinand's;

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/234>, abgerufen am 26.11.2024.