ergab es sich, daß ich eben da fortfahren mußte, wo ich zuletzt aufgehört hatte, und daß ich durch¬ aus nicht im Stande war, plötzlich etwas Neues zu schaffen, weil ich dazu erst etwas Neues hätte sehen müssen. Da mir aber nicht Ein Blatt eines Meisters zu Gebote stand und die prächtigen Blätter meiner Phantasie sogleich in Nichts sich auflösten, wenn ich den Stift auf das Papier setzte, so brachte ich ein trübseliges Gekritzel zu Stande, indem ich aus meiner alten Weise her¬ auszukommen suchte, welche ich verachtete, während ich sie jetzt sogar nur verdarb. So quälte ich mich mehrere Tage herum, in Gedanken immer eine gute und sachgemäße Arbeit sehend, aber rathlos mit der Hand. Es wurde mir angst und bange, ich glaubte jetzt sogleich verzweifeln zu müssen, wenn es mir nicht gelänge, und seufzend bat ich Gott, mir aus der Klemme zu helfen. Ich betete noch mit den gleichen kindlichen Worten, wie schon vor zehn Jahren, immer das Gleiche wiederholend, so daß es mir selbst auffiel, als ich halblaut vor mich hin flüsterte. Darüber nach¬ sinnend hielt ich mit der hastigen Arbeit inne
ergab es ſich, daß ich eben da fortfahren mußte, wo ich zuletzt aufgehoͤrt hatte, und daß ich durch¬ aus nicht im Stande war, ploͤtzlich etwas Neues zu ſchaffen, weil ich dazu erſt etwas Neues haͤtte ſehen muͤſſen. Da mir aber nicht Ein Blatt eines Meiſters zu Gebote ſtand und die praͤchtigen Blaͤtter meiner Phantaſie ſogleich in Nichts ſich aufloͤſten, wenn ich den Stift auf das Papier ſetzte, ſo brachte ich ein truͤbſeliges Gekritzel zu Stande, indem ich aus meiner alten Weiſe her¬ auszukommen ſuchte, welche ich verachtete, waͤhrend ich ſie jetzt ſogar nur verdarb. So quaͤlte ich mich mehrere Tage herum, in Gedanken immer eine gute und ſachgemaͤße Arbeit ſehend, aber rathlos mit der Hand. Es wurde mir angſt und bange, ich glaubte jetzt ſogleich verzweifeln zu muͤſſen, wenn es mir nicht gelaͤnge, und ſeufzend bat ich Gott, mir aus der Klemme zu helfen. Ich betete noch mit den gleichen kindlichen Worten, wie ſchon vor zehn Jahren, immer das Gleiche wiederholend, ſo daß es mir ſelbſt auffiel, als ich halblaut vor mich hin fluͤſterte. Daruͤber nach¬ ſinnend hielt ich mit der haſtigen Arbeit inne
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0023"n="13"/>
ergab es ſich, daß ich eben da fortfahren mußte,<lb/>
wo ich zuletzt aufgehoͤrt hatte, und daß ich durch¬<lb/>
aus nicht im Stande war, ploͤtzlich etwas Neues<lb/>
zu ſchaffen, weil ich dazu erſt etwas Neues haͤtte<lb/>ſehen muͤſſen. Da mir aber nicht Ein Blatt<lb/>
eines Meiſters zu Gebote ſtand und die praͤchtigen<lb/>
Blaͤtter meiner Phantaſie ſogleich in Nichts ſich<lb/>
aufloͤſten, wenn ich den Stift auf das Papier<lb/>ſetzte, ſo brachte ich ein truͤbſeliges Gekritzel zu<lb/>
Stande, indem ich aus meiner alten Weiſe her¬<lb/>
auszukommen ſuchte, welche ich verachtete, waͤhrend<lb/>
ich ſie jetzt ſogar nur verdarb. So quaͤlte ich<lb/>
mich mehrere Tage herum, in Gedanken immer<lb/>
eine gute und ſachgemaͤße Arbeit ſehend, aber<lb/>
rathlos mit der Hand. Es wurde mir angſt und<lb/>
bange, ich glaubte jetzt ſogleich verzweifeln zu<lb/>
muͤſſen, wenn es mir nicht gelaͤnge, und ſeufzend<lb/>
bat ich Gott, mir aus der Klemme zu helfen.<lb/>
Ich betete noch mit den gleichen kindlichen Worten,<lb/>
wie ſchon vor zehn Jahren, immer das Gleiche<lb/>
wiederholend, ſo daß es mir ſelbſt auffiel, als ich<lb/>
halblaut vor mich hin fluͤſterte. Daruͤber nach¬<lb/>ſinnend hielt ich mit der haſtigen Arbeit inne<lb/></p></div></body></text></TEI>
[13/0023]
ergab es ſich, daß ich eben da fortfahren mußte,
wo ich zuletzt aufgehoͤrt hatte, und daß ich durch¬
aus nicht im Stande war, ploͤtzlich etwas Neues
zu ſchaffen, weil ich dazu erſt etwas Neues haͤtte
ſehen muͤſſen. Da mir aber nicht Ein Blatt
eines Meiſters zu Gebote ſtand und die praͤchtigen
Blaͤtter meiner Phantaſie ſogleich in Nichts ſich
aufloͤſten, wenn ich den Stift auf das Papier
ſetzte, ſo brachte ich ein truͤbſeliges Gekritzel zu
Stande, indem ich aus meiner alten Weiſe her¬
auszukommen ſuchte, welche ich verachtete, waͤhrend
ich ſie jetzt ſogar nur verdarb. So quaͤlte ich
mich mehrere Tage herum, in Gedanken immer
eine gute und ſachgemaͤße Arbeit ſehend, aber
rathlos mit der Hand. Es wurde mir angſt und
bange, ich glaubte jetzt ſogleich verzweifeln zu
muͤſſen, wenn es mir nicht gelaͤnge, und ſeufzend
bat ich Gott, mir aus der Klemme zu helfen.
Ich betete noch mit den gleichen kindlichen Worten,
wie ſchon vor zehn Jahren, immer das Gleiche
wiederholend, ſo daß es mir ſelbſt auffiel, als ich
halblaut vor mich hin fluͤſterte. Daruͤber nach¬
ſinnend hielt ich mit der haſtigen Arbeit inne
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/23>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.