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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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angelernten Höflichkeiten und Anstandsformen.
Wo sie sich, wie hier, in unwichtigen Dingen,
sogar nur in Sachen des Vergnügens äußern,
während ihre Ausbildung und Bethätigung in
den großen Lebenslagen stockt, da muß ein ern¬
stes Schicksal, eine tiefe Verirrung im Anzuge
sein, welche sich nur dem unkundigen Beobachter
verbergen.

Beide Freunde Heinrich's waren zwei reizen¬
den Wesen für das kommende Fest verpflichtet.
In einer vergessenen alterthümlichen Gegend der
Stadt lag ein ganz kleiner, gevierter sonniger
Platz, wo zwischen anderen ein schmales Häus¬
chen im Renaissance-Styl zierlichst sich auszeich¬
nete, in der Breite ein einziges Fenster von den
schönsten Verhältnissen zeigend. Beide Stockwerke
bildeten zusammen einen kleinen Thurm oder eher
ein Monument und waren durch den Gedanken der
Gliederung ein Ganzes; die wohlgefügten, von der
Zeit geschwärzten Backsteine zeigten eine scharfe
und gediegene Arbeit, und selbst der Thürklopfer
von Erz, welcher ein schlankes, den schmalen Leib
kühn hinausbiegendes Meerweibchen vorstellte,

angelernten Hoͤflichkeiten und Anſtandsformen.
Wo ſie ſich, wie hier, in unwichtigen Dingen,
ſogar nur in Sachen des Vergnuͤgens aͤußern,
waͤhrend ihre Ausbildung und Bethaͤtigung in
den großen Lebenslagen ſtockt, da muß ein ern¬
ſtes Schickſal, eine tiefe Verirrung im Anzuge
ſein, welche ſich nur dem unkundigen Beobachter
verbergen.

Beide Freunde Heinrich's waren zwei reizen¬
den Weſen fuͤr das kommende Feſt verpflichtet.
In einer vergeſſenen alterthuͤmlichen Gegend der
Stadt lag ein ganz kleiner, gevierter ſonniger
Platz, wo zwiſchen anderen ein ſchmales Haͤus¬
chen im Renaiſſance-Styl zierlichſt ſich auszeich¬
nete, in der Breite ein einziges Fenſter von den
ſchoͤnſten Verhaͤltniſſen zeigend. Beide Stockwerke
bildeten zuſammen einen kleinen Thurm oder eher
ein Monument und waren durch den Gedanken der
Gliederung ein Ganzes; die wohlgefuͤgten, von der
Zeit geſchwaͤrzten Backſteine zeigten eine ſcharfe
und gediegene Arbeit, und ſelbſt der Thuͤrklopfer
von Erz, welcher ein ſchlankes, den ſchmalen Leib
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[216/0226] angelernten Hoͤflichkeiten und Anſtandsformen. Wo ſie ſich, wie hier, in unwichtigen Dingen, ſogar nur in Sachen des Vergnuͤgens aͤußern, waͤhrend ihre Ausbildung und Bethaͤtigung in den großen Lebenslagen ſtockt, da muß ein ern¬ ſtes Schickſal, eine tiefe Verirrung im Anzuge ſein, welche ſich nur dem unkundigen Beobachter verbergen. Beide Freunde Heinrich's waren zwei reizen¬ den Weſen fuͤr das kommende Feſt verpflichtet. In einer vergeſſenen alterthuͤmlichen Gegend der Stadt lag ein ganz kleiner, gevierter ſonniger Platz, wo zwiſchen anderen ein ſchmales Haͤus¬ chen im Renaiſſance-Styl zierlichſt ſich auszeich¬ nete, in der Breite ein einziges Fenſter von den ſchoͤnſten Verhaͤltniſſen zeigend. Beide Stockwerke bildeten zuſammen einen kleinen Thurm oder eher ein Monument und waren durch den Gedanken der Gliederung ein Ganzes; die wohlgefuͤgten, von der Zeit geſchwaͤrzten Backſteine zeigten eine ſcharfe und gediegene Arbeit, und ſelbſt der Thuͤrklopfer von Erz, welcher ein ſchlankes, den ſchmalen Leib kuͤhn hinausbiegendes Meerweibchen vorſtellte,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/226>, abgerufen am 25.11.2024.