Welt und macht den Mann; die Welt ist inner¬ lich ruhig und still, und so muß es auch der Mann sein, der sie verstehen und als ein wir¬ kender Theil von ihr sie widerspiegeln will. Ruhe zieht das Leben an, Unruhe verscheucht es; Gott hält sich mäuschenstill, darum bewegt sich die Welt um ihn. Für den künstlerischen Menschen nun wäre dies so anzuwenden, daß er sich eher leidend und zusehend verhalten und die Dinge an sich vorüberziehen lassen, als ihnen nachjagen soll; denn wer in einem festlichen Zuge mitzieht, kann denselben nicht so beschreiben, wie der, welcher am Wege steht. Dieser ist darum nicht überflüssig oder müßig, und der Seher ist erst das ganze Leben des Gesehenen, und wenn er ein rechter Seher ist, so kommt der Augenblick, wo er sich dem Zuge anschließt mit seinem gol¬ denen Spiegel, gleich dem achten Könige im Macbeth, der in seinem Spiegel noch viele Kö¬ nige sehen ließ. Auch nicht ohne äußere That und Mühe ist das Sehen des ruhig Leidenden, gleichwie der Zuschauer eines Festzuges genug Mühe hat, einen guten Platz zu erringen oder
Welt und macht den Mann; die Welt iſt inner¬ lich ruhig und ſtill, und ſo muß es auch der Mann ſein, der ſie verſtehen und als ein wir¬ kender Theil von ihr ſie widerſpiegeln will. Ruhe zieht das Leben an, Unruhe verſcheucht es; Gott haͤlt ſich maͤuschenſtill, darum bewegt ſich die Welt um ihn. Fuͤr den kuͤnſtleriſchen Menſchen nun waͤre dies ſo anzuwenden, daß er ſich eher leidend und zuſehend verhalten und die Dinge an ſich voruͤberziehen laſſen, als ihnen nachjagen ſoll; denn wer in einem feſtlichen Zuge mitzieht, kann denſelben nicht ſo beſchreiben, wie der, welcher am Wege ſteht. Dieſer iſt darum nicht uͤberfluͤſſig oder muͤßig, und der Seher iſt erſt das ganze Leben des Geſehenen, und wenn er ein rechter Seher iſt, ſo kommt der Augenblick, wo er ſich dem Zuge anſchließt mit ſeinem gol¬ denen Spiegel, gleich dem achten Koͤnige im Macbeth, der in ſeinem Spiegel noch viele Koͤ¬ nige ſehen ließ. Auch nicht ohne aͤußere That und Muͤhe iſt das Sehen des ruhig Leidenden, gleichwie der Zuſchauer eines Feſtzuges genug Muͤhe hat, einen guten Platz zu erringen oder
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Welt und macht den Mann; die Welt iſt inner¬
lich ruhig und ſtill, und ſo muß es auch der
Mann ſein, der ſie verſtehen und als ein wir¬
kender Theil von ihr ſie widerſpiegeln will.
Ruhe zieht das Leben an, Unruhe verſcheucht es;
Gott haͤlt ſich maͤuschenſtill, darum bewegt ſich
die Welt um ihn. Fuͤr den kuͤnſtleriſchen Menſchen
nun waͤre dies ſo anzuwenden, daß er ſich eher
leidend und zuſehend verhalten und die Dinge
an ſich voruͤberziehen laſſen, als ihnen nachjagen
ſoll; denn wer in einem feſtlichen Zuge mitzieht,
kann denſelben nicht ſo beſchreiben, wie der,
welcher am Wege ſteht. Dieſer iſt darum nicht
uͤberfluͤſſig oder muͤßig, und der Seher iſt erſt
das ganze Leben des Geſehenen, und wenn er
ein rechter Seher iſt, ſo kommt der Augenblick,
wo er ſich dem Zuge anſchließt mit ſeinem gol¬
denen Spiegel, gleich dem achten Koͤnige im
Macbeth, der in ſeinem Spiegel noch viele Koͤ¬
nige ſehen ließ. Auch nicht ohne aͤußere That
und Muͤhe iſt das Sehen des ruhig Leidenden,
gleichwie der Zuſchauer eines Feſtzuges genug
Muͤhe hat, einen guten Platz zu erringen oder
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/19>, abgerufen am 24.11.2024.
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