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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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chen und Monate vergingen so sachte und heim¬
tückisch, als ob sie, leise sich drängend, sich selbst
entwendeten und zu meiner fortwährenden Beun¬
ruhigung lachend verschwänden. Sonst, wenn ich
die Bücher alter und fremder Völker las, füllten
mich dieselben stets mit frischer Lust zur Arbeit,
und selbst die neueren französischen oder italieni¬
schen Sachen waren, selbst wenn ihr Gehalt nicht
vom erlauchtesten Geiste, doch von solcher Gestal¬
tungslust getränkt, daß ich sie oft fröhlich weg¬
warf und auf eigenes Thun sann. Durch die
deutschen Bücher hingegen wurde ich tief und
tiefer in einen schmerzlichen Genuß unrechtmäßiger
Ruhe und Beschaulichkeit hineingezogen, aus wel¬
chem mich der immer wache Vorwurf doch nicht
reißen konnte. Ja, ich empfand trotz des bösen
Gewissens sogar mehr und mehr eine Sehnsucht,
selbst über den Rhein zu setzen und erst recht
mitten in diese Welt zu gerathen.

Jedoch brachte der Frühling eine kräftige Er¬
lösung aus diesem unbehaglichen Zustande; ich
hatte nun das achtzehnte Jahr überschritten, war
militärpflichtig geworden und mußte mich am fest¬

chen und Monate vergingen ſo ſachte und heim¬
tuͤckiſch, als ob ſie, leiſe ſich draͤngend, ſich ſelbſt
entwendeten und zu meiner fortwaͤhrenden Beun¬
ruhigung lachend verſchwaͤnden. Sonſt, wenn ich
die Buͤcher alter und fremder Voͤlker las, fuͤllten
mich dieſelben ſtets mit friſcher Luſt zur Arbeit,
und ſelbſt die neueren franzoͤſiſchen oder italieni¬
ſchen Sachen waren, ſelbſt wenn ihr Gehalt nicht
vom erlauchteſten Geiſte, doch von ſolcher Geſtal¬
tungsluſt getraͤnkt, daß ich ſie oft froͤhlich weg¬
warf und auf eigenes Thun ſann. Durch die
deutſchen Buͤcher hingegen wurde ich tief und
tiefer in einen ſchmerzlichen Genuß unrechtmaͤßiger
Ruhe und Beſchaulichkeit hineingezogen, aus wel¬
chem mich der immer wache Vorwurf doch nicht
reißen konnte. Ja, ich empfand trotz des boͤſen
Gewiſſens ſogar mehr und mehr eine Sehnſucht,
ſelbſt uͤber den Rhein zu ſetzen und erſt recht
mitten in dieſe Welt zu gerathen.

Jedoch brachte der Fruͤhling eine kraͤftige Er¬
loͤſung aus dieſem unbehaglichen Zuſtande; ich
hatte nun das achtzehnte Jahr uͤberſchritten, war
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[166/0176] chen und Monate vergingen ſo ſachte und heim¬ tuͤckiſch, als ob ſie, leiſe ſich draͤngend, ſich ſelbſt entwendeten und zu meiner fortwaͤhrenden Beun¬ ruhigung lachend verſchwaͤnden. Sonſt, wenn ich die Buͤcher alter und fremder Voͤlker las, fuͤllten mich dieſelben ſtets mit friſcher Luſt zur Arbeit, und ſelbſt die neueren franzoͤſiſchen oder italieni¬ ſchen Sachen waren, ſelbſt wenn ihr Gehalt nicht vom erlauchteſten Geiſte, doch von ſolcher Geſtal¬ tungsluſt getraͤnkt, daß ich ſie oft froͤhlich weg¬ warf und auf eigenes Thun ſann. Durch die deutſchen Buͤcher hingegen wurde ich tief und tiefer in einen ſchmerzlichen Genuß unrechtmaͤßiger Ruhe und Beſchaulichkeit hineingezogen, aus wel¬ chem mich der immer wache Vorwurf doch nicht reißen konnte. Ja, ich empfand trotz des boͤſen Gewiſſens ſogar mehr und mehr eine Sehnſucht, ſelbſt uͤber den Rhein zu ſetzen und erſt recht mitten in dieſe Welt zu gerathen. Jedoch brachte der Fruͤhling eine kraͤftige Er¬ loͤſung aus dieſem unbehaglichen Zuſtande; ich hatte nun das achtzehnte Jahr uͤberſchritten, war militaͤrpflichtig geworden und mußte mich am feſt¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/176>, abgerufen am 24.11.2024.