war es Stärke oder Schwäche, daß ich dies tra¬ gische und feierliche Ereigniß viel eher genoß, als erduldete und mich beinahe des nun ernst werden¬ den Wechsels des Lebens freute.
Der Schieber wurde zugethan, der Todten¬ gräber und sein Gehülfe stiegen herauf und bald war der braune Hügel aufgebaut.
Judith ließ sich nicht sehen am Grabe; in einem demüthigen und entsagenden Gefühle der Fremdheit hielt sie sich in ihrem Hause verschlossen.
Am anderen Tage, als der Schulmeister zu erkennen gab, daß er nun seinen Schmerz in der Einsamkeit allein mit seinem Gott überwinden wolle, schickte ich mich an, mit der Mutter nach der Stadt zurück zu kehren. Vorher ging ich zur Judith und fand sie beschäftigt, ihre Bäume zu mustern, da die Zeit wieder gekommen war, wo man das Obst einsammelte. Der Herbstnebel traf gerade heute zum ersten Mal ein und verschleierte schon den Baumgarten mit seinem silbernen Ge¬ webe. Judith war ernst und etwas verlegen, als sie mich sah, da sie nicht recht wußte, wie sie sich zu dem traurigen Erlebniß stellen sollte, wäh¬
war es Staͤrke oder Schwaͤche, daß ich dies tra¬ giſche und feierliche Ereigniß viel eher genoß, als erduldete und mich beinahe des nun ernſt werden¬ den Wechſels des Lebens freute.
Der Schieber wurde zugethan, der Todten¬ graͤber und ſein Gehuͤlfe ſtiegen herauf und bald war der braune Huͤgel aufgebaut.
Judith ließ ſich nicht ſehen am Grabe; in einem demuͤthigen und entſagenden Gefuͤhle der Fremdheit hielt ſie ſich in ihrem Hauſe verſchloſſen.
Am anderen Tage, als der Schulmeiſter zu erkennen gab, daß er nun ſeinen Schmerz in der Einſamkeit allein mit ſeinem Gott uͤberwinden wolle, ſchickte ich mich an, mit der Mutter nach der Stadt zuruͤck zu kehren. Vorher ging ich zur Judith und fand ſie beſchaͤftigt, ihre Baͤume zu muſtern, da die Zeit wieder gekommen war, wo man das Obſt einſammelte. Der Herbſtnebel traf gerade heute zum erſten Mal ein und verſchleierte ſchon den Baumgarten mit ſeinem ſilbernen Ge¬ webe. Judith war ernſt und etwas verlegen, als ſie mich ſah, da ſie nicht recht wußte, wie ſie ſich zu dem traurigen Erlebniß ſtellen ſollte, waͤh¬
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war es Staͤrke oder Schwaͤche, daß ich dies tra¬
giſche und feierliche Ereigniß viel eher genoß, als
erduldete und mich beinahe des nun ernſt werden¬
den Wechſels des Lebens freute.
Der Schieber wurde zugethan, der Todten¬
graͤber und ſein Gehuͤlfe ſtiegen herauf und bald
war der braune Huͤgel aufgebaut.
Judith ließ ſich nicht ſehen am Grabe; in
einem demuͤthigen und entſagenden Gefuͤhle der
Fremdheit hielt ſie ſich in ihrem Hauſe verſchloſſen.
Am anderen Tage, als der Schulmeiſter zu
erkennen gab, daß er nun ſeinen Schmerz in der
Einſamkeit allein mit ſeinem Gott uͤberwinden
wolle, ſchickte ich mich an, mit der Mutter nach
der Stadt zuruͤck zu kehren. Vorher ging ich zur
Judith und fand ſie beſchaͤftigt, ihre Baͤume zu
muſtern, da die Zeit wieder gekommen war, wo
man das Obſt einſammelte. Der Herbſtnebel traf
gerade heute zum erſten Mal ein und verſchleierte
ſchon den Baumgarten mit ſeinem ſilbernen Ge¬
webe. Judith war ernſt und etwas verlegen, als
ſie mich ſah, da ſie nicht recht wußte, wie ſie
ſich zu dem traurigen Erlebniß ſtellen ſollte, waͤh¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/168>, abgerufen am 18.12.2024.
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