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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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ten die unsterbliche Geisterwelt, und reuevoll ge¬
lobte ich Anna ewige Treue.

Ich fühlte mich stolz und glücklich durch die¬
sen Entschluß; aber zugleich wurde mir nun der
Aufenthalt in der Todtenkammer zuwider und ich
war froh, mit dem Gedanken der Unsterblichkeit
hinaus zu kommen in's lebendige Grüne. Es er¬
schien an diesem Tage ein Schreinergesell aus
dem Dorfe, um hier den Sarg zu machen. Der
Schulmeister hatte vor Jahren schon eigenhändig
ein schlankes Tännlein gefällt und zu seinem
Sarge bestimmt. Dasselbe lag in Bretter gesägt
hinter dem Hause, durch das Vordach geschützt,
und hatte immer zu einer Ruhebank gedient, auf
welcher der Schulmeister zu lesen und seine Toch¬
ter als Kind zu spielen pflegte. Es zeigte sich
nun, daß die obere schlankere Hälfte des Baumes
den schmalen Todtenschrein Anna's abgeben könne,
ohne den zukünftigen Sarg des Vaters zu beein¬
trächtigen; die wohlgetrockneten Bretter wurden
abgehoben und eines nach dem anderen entzwei
gesägt. Der Schulmeister vermochte aber nicht
lange dabei zu sein, und selbst die Frauen im

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ten die unſterbliche Geiſterwelt, und reuevoll ge¬
lobte ich Anna ewige Treue.

Ich fuͤhlte mich ſtolz und gluͤcklich durch die¬
ſen Entſchluß; aber zugleich wurde mir nun der
Aufenthalt in der Todtenkammer zuwider und ich
war froh, mit dem Gedanken der Unſterblichkeit
hinaus zu kommen in's lebendige Gruͤne. Es er¬
ſchien an dieſem Tage ein Schreinergeſell aus
dem Dorfe, um hier den Sarg zu machen. Der
Schulmeiſter hatte vor Jahren ſchon eigenhaͤndig
ein ſchlankes Taͤnnlein gefaͤllt und zu ſeinem
Sarge beſtimmt. Daſſelbe lag in Bretter geſaͤgt
hinter dem Hauſe, durch das Vordach geſchuͤtzt,
und hatte immer zu einer Ruhebank gedient, auf
welcher der Schulmeiſter zu leſen und ſeine Toch¬
ter als Kind zu ſpielen pflegte. Es zeigte ſich
nun, daß die obere ſchlankere Haͤlfte des Baumes
den ſchmalen Todtenſchrein Anna's abgeben koͤnne,
ohne den zukuͤnftigen Sarg des Vaters zu beein¬
traͤchtigen; die wohlgetrockneten Bretter wurden
abgehoben und eines nach dem anderen entzwei
geſaͤgt. Der Schulmeiſter vermochte aber nicht
lange dabei zu ſein, und ſelbſt die Frauen im

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[147/0157] ten die unſterbliche Geiſterwelt, und reuevoll ge¬ lobte ich Anna ewige Treue. Ich fuͤhlte mich ſtolz und gluͤcklich durch die¬ ſen Entſchluß; aber zugleich wurde mir nun der Aufenthalt in der Todtenkammer zuwider und ich war froh, mit dem Gedanken der Unſterblichkeit hinaus zu kommen in's lebendige Gruͤne. Es er¬ ſchien an dieſem Tage ein Schreinergeſell aus dem Dorfe, um hier den Sarg zu machen. Der Schulmeiſter hatte vor Jahren ſchon eigenhaͤndig ein ſchlankes Taͤnnlein gefaͤllt und zu ſeinem Sarge beſtimmt. Daſſelbe lag in Bretter geſaͤgt hinter dem Hauſe, durch das Vordach geſchuͤtzt, und hatte immer zu einer Ruhebank gedient, auf welcher der Schulmeiſter zu leſen und ſeine Toch¬ ter als Kind zu ſpielen pflegte. Es zeigte ſich nun, daß die obere ſchlankere Haͤlfte des Baumes den ſchmalen Todtenſchrein Anna's abgeben koͤnne, ohne den zukuͤnftigen Sarg des Vaters zu beein¬ traͤchtigen; die wohlgetrockneten Bretter wurden abgehoben und eines nach dem anderen entzwei geſaͤgt. Der Schulmeiſter vermochte aber nicht lange dabei zu ſein, und ſelbſt die Frauen im 10*

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/157>, abgerufen am 24.11.2024.