von Klagen erfüllt, sondern auch die benachbarte Mühle, und die Vorübergehenden verbreiteten das Leid im ganzen Dorfe. Seit bald einem Jahre war der Gedanke an Anna's Tod groß gezogen worden, und die Leute schienen sich ein rechtes Fest der Klage und des Bedaurens auf¬ gespart zu haben; denn für eine allgemeine Tod¬ tentrauer war dieser anmuthige, schuldlose und geehrte Gegenstand geeigneter, als die eigenen Verluste.
Ich hielt mich ganz still im Hintergrunde; denn wenn ich auch bei freudigen Anlässen laut wurde und unwillkürlich eine anmaßende Rolle spielte, so wußte ich dagegen, wo es traurig her¬ ging, mich gar nicht vorzudrängen und gerieth immer in die Verlegenheit, für theilnahmlos und verhärtet angesehen zu werden, und dies um so mehr, als mir von jeher nur die aus Schuld oder Unrecht entstandenen Mißstimmungen, die innere Berührung der Menschen, nie aber das unmittelbare Unglück oder der Tod Thränen zu entlocken vermochten.
Jetzt aber war ich erstaunt über den frühen
von Klagen erfuͤllt, ſondern auch die benachbarte Muͤhle, und die Voruͤbergehenden verbreiteten das Leid im ganzen Dorfe. Seit bald einem Jahre war der Gedanke an Anna's Tod groß gezogen worden, und die Leute ſchienen ſich ein rechtes Feſt der Klage und des Bedaurens auf¬ geſpart zu haben; denn fuͤr eine allgemeine Tod¬ tentrauer war dieſer anmuthige, ſchuldloſe und geehrte Gegenſtand geeigneter, als die eigenen Verluſte.
Ich hielt mich ganz ſtill im Hintergrunde; denn wenn ich auch bei freudigen Anlaͤſſen laut wurde und unwillkuͤrlich eine anmaßende Rolle ſpielte, ſo wußte ich dagegen, wo es traurig her¬ ging, mich gar nicht vorzudraͤngen und gerieth immer in die Verlegenheit, fuͤr theilnahmlos und verhaͤrtet angeſehen zu werden, und dies um ſo mehr, als mir von jeher nur die aus Schuld oder Unrecht entſtandenen Mißſtimmungen, die innere Beruͤhrung der Menſchen, nie aber das unmittelbare Ungluͤck oder der Tod Thraͤnen zu entlocken vermochten.
Jetzt aber war ich erſtaunt uͤber den fruͤhen
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von Klagen erfuͤllt, ſondern auch die benachbarte
Muͤhle, und die Voruͤbergehenden verbreiteten
das Leid im ganzen Dorfe. Seit bald einem
Jahre war der Gedanke an Anna's Tod groß
gezogen worden, und die Leute ſchienen ſich ein
rechtes Feſt der Klage und des Bedaurens auf¬
geſpart zu haben; denn fuͤr eine allgemeine Tod¬
tentrauer war dieſer anmuthige, ſchuldloſe und
geehrte Gegenſtand geeigneter, als die eigenen
Verluſte.
Ich hielt mich ganz ſtill im Hintergrunde;
denn wenn ich auch bei freudigen Anlaͤſſen laut
wurde und unwillkuͤrlich eine anmaßende Rolle
ſpielte, ſo wußte ich dagegen, wo es traurig her¬
ging, mich gar nicht vorzudraͤngen und gerieth
immer in die Verlegenheit, fuͤr theilnahmlos und
verhaͤrtet angeſehen zu werden, und dies um ſo
mehr, als mir von jeher nur die aus Schuld
oder Unrecht entſtandenen Mißſtimmungen, die
innere Beruͤhrung der Menſchen, nie aber das
unmittelbare Ungluͤck oder der Tod Thraͤnen zu
entlocken vermochten.
Jetzt aber war ich erſtaunt uͤber den fruͤhen
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/149>, abgerufen am 25.11.2024.
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