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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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auf das Schwesterchen keine große Rücksicht nah¬
men, allein der seltsame Werber verklagte sie so¬
gleich und begann einen Proceß um sein Recht,
den er mit solcher Consequenz und Energie durch¬
führte, daß der Oheim entrüstet und aufgeregt
schon auf halbem Wege erklärte, das Kind könne
laufen, wohin es wolle. Noch glaubte man, das
junge Mädchen, das man immer noch als Kind
anzusehen gewohnt war, würde jetzt wenigstens
noch eine Zeit bleiben, bis es im Frieden gehen
könne, und man konnte seinen Abfall von der
Familie nicht begreifen und schrieb denselben einem
störrischen und mangelhaften Herzen zu; aber es
kümmerte sich nicht darum, sah nicht Vater, noch
Schwestern und Brüder und kaum das Grab seiner
Mutter an und zog ohne Aussteuer, ohne Sang
und Klang mit dem Philosophen aus dem Dorfe.
Mit Verwunderung sah ich, wie Logik und Leiden¬
schaft im Bunde in noch so jungen Köpfchen
wohl so viel Bewegung verursachen können, als
Erfahrung und gereifter Wille der Alten. Denn
das Philosöphchen hatte sich vorgenommen, streng
nach seiner Vernunft und seinem Naturrechte zu

auf das Schweſterchen keine große Ruͤckſicht nah¬
men, allein der ſeltſame Werber verklagte ſie ſo¬
gleich und begann einen Proceß um ſein Recht,
den er mit ſolcher Conſequenz und Energie durch¬
fuͤhrte, daß der Oheim entruͤſtet und aufgeregt
ſchon auf halbem Wege erklaͤrte, das Kind koͤnne
laufen, wohin es wolle. Noch glaubte man, das
junge Maͤdchen, das man immer noch als Kind
anzuſehen gewohnt war, wuͤrde jetzt wenigſtens
noch eine Zeit bleiben, bis es im Frieden gehen
koͤnne, und man konnte ſeinen Abfall von der
Familie nicht begreifen und ſchrieb denſelben einem
ſtoͤrriſchen und mangelhaften Herzen zu; aber es
kuͤmmerte ſich nicht darum, ſah nicht Vater, noch
Schweſtern und Bruͤder und kaum das Grab ſeiner
Mutter an und zog ohne Ausſteuer, ohne Sang
und Klang mit dem Philoſophen aus dem Dorfe.
Mit Verwunderung ſah ich, wie Logik und Leiden¬
ſchaft im Bunde in noch ſo jungen Koͤpfchen
wohl ſo viel Bewegung verurſachen koͤnnen, als
Erfahrung und gereifter Wille der Alten. Denn
das Philoſoͤphchen hatte ſich vorgenommen, ſtreng
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[137/0147] auf das Schweſterchen keine große Ruͤckſicht nah¬ men, allein der ſeltſame Werber verklagte ſie ſo¬ gleich und begann einen Proceß um ſein Recht, den er mit ſolcher Conſequenz und Energie durch¬ fuͤhrte, daß der Oheim entruͤſtet und aufgeregt ſchon auf halbem Wege erklaͤrte, das Kind koͤnne laufen, wohin es wolle. Noch glaubte man, das junge Maͤdchen, das man immer noch als Kind anzuſehen gewohnt war, wuͤrde jetzt wenigſtens noch eine Zeit bleiben, bis es im Frieden gehen koͤnne, und man konnte ſeinen Abfall von der Familie nicht begreifen und ſchrieb denſelben einem ſtoͤrriſchen und mangelhaften Herzen zu; aber es kuͤmmerte ſich nicht darum, ſah nicht Vater, noch Schweſtern und Bruͤder und kaum das Grab ſeiner Mutter an und zog ohne Ausſteuer, ohne Sang und Klang mit dem Philoſophen aus dem Dorfe. Mit Verwunderung ſah ich, wie Logik und Leiden¬ ſchaft im Bunde in noch ſo jungen Koͤpfchen wohl ſo viel Bewegung verurſachen koͤnnen, als Erfahrung und gereifter Wille der Alten. Denn das Philoſoͤphchen hatte ſich vorgenommen, ſtreng nach ſeiner Vernunft und ſeinem Naturrechte zu

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/147>, abgerufen am 24.11.2024.