Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

mich vergessen hatte, sah ich unversehens die
nackte Judith schon auf der Mitte dieses Weges
angelangt und auf mich zukommen. Sie war
bis unter die Brust im Wasser; sie näherte sich
im Bogen und ich drehete mich magnetisch nach
ihren Bewegungen. Jetzt trat sie aus dem schief
über das Flüßchen fallenden Schlagschatten und
erschien plötzlich im Mondlichte; zugleich erreichte
sie bald das Ufer und stieg immer höher aus
dem Wasser und dieses rauschte jetzt glänzend
von ihren Hüften und Knieen zurück. Jetzt setzte
sie den triefenden weißen Fuß auf die trockenen
Steine, sah mich an und ich sie; sie war nur
noch drei Schritte von mir und stand einen Au¬
genblick still; ich sah jedes Glied in dem hellen
Lichte deutlich, aber wie fabelhaft vergrößert und
verschönt, gleich einem über lebensgroßen alten
Marmorbilde. Auf den Schultern, auf den Brü¬
sten und auf den Hüften schimmerte das Wasser,
aber noch mehr leuchteten ihre Augen, die sie
schweigend auf mich gerichtet hielt. Jetzt hob sie
die Arme und bewegte sich gegen mich; aber
ich, von einem heißkalten Schauer und Respect

III. 9

mich vergeſſen hatte, ſah ich unverſehens die
nackte Judith ſchon auf der Mitte dieſes Weges
angelangt und auf mich zukommen. Sie war
bis unter die Bruſt im Waſſer; ſie naͤherte ſich
im Bogen und ich drehete mich magnetiſch nach
ihren Bewegungen. Jetzt trat ſie aus dem ſchief
uͤber das Fluͤßchen fallenden Schlagſchatten und
erſchien ploͤtzlich im Mondlichte; zugleich erreichte
ſie bald das Ufer und ſtieg immer hoͤher aus
dem Waſſer und dieſes rauſchte jetzt glaͤnzend
von ihren Huͤften und Knieen zuruͤck. Jetzt ſetzte
ſie den triefenden weißen Fuß auf die trockenen
Steine, ſah mich an und ich ſie; ſie war nur
noch drei Schritte von mir und ſtand einen Au¬
genblick ſtill; ich ſah jedes Glied in dem hellen
Lichte deutlich, aber wie fabelhaft vergroͤßert und
verſchoͤnt, gleich einem uͤber lebensgroßen alten
Marmorbilde. Auf den Schultern, auf den Bruͤ¬
ſten und auf den Huͤften ſchimmerte das Waſſer,
aber noch mehr leuchteten ihre Augen, die ſie
ſchweigend auf mich gerichtet hielt. Jetzt hob ſie
die Arme und bewegte ſich gegen mich; aber
ich, von einem heißkalten Schauer und Reſpect

III. 9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0139" n="129"/>
mich verge&#x017F;&#x017F;en hatte, &#x017F;ah ich unver&#x017F;ehens die<lb/>
nackte Judith &#x017F;chon auf der Mitte die&#x017F;es Weges<lb/>
angelangt und auf mich zukommen. Sie war<lb/>
bis unter die Bru&#x017F;t im Wa&#x017F;&#x017F;er; &#x017F;ie na&#x0364;herte &#x017F;ich<lb/>
im Bogen und ich drehete mich magneti&#x017F;ch nach<lb/>
ihren Bewegungen. Jetzt trat &#x017F;ie aus dem &#x017F;chief<lb/>
u&#x0364;ber das Flu&#x0364;ßchen fallenden Schlag&#x017F;chatten und<lb/>
er&#x017F;chien plo&#x0364;tzlich im Mondlichte; zugleich erreichte<lb/>
&#x017F;ie bald das Ufer und &#x017F;tieg immer ho&#x0364;her aus<lb/>
dem Wa&#x017F;&#x017F;er und die&#x017F;es rau&#x017F;chte jetzt gla&#x0364;nzend<lb/>
von ihren Hu&#x0364;ften und Knieen zuru&#x0364;ck. Jetzt &#x017F;etzte<lb/>
&#x017F;ie den triefenden weißen Fuß auf die trockenen<lb/>
Steine, &#x017F;ah mich an und ich &#x017F;ie; &#x017F;ie war nur<lb/>
noch drei Schritte von mir und &#x017F;tand einen Au¬<lb/>
genblick &#x017F;till; ich &#x017F;ah jedes Glied in dem hellen<lb/>
Lichte deutlich, aber wie fabelhaft vergro&#x0364;ßert und<lb/>
ver&#x017F;cho&#x0364;nt, gleich einem u&#x0364;ber lebensgroßen alten<lb/>
Marmorbilde. Auf den Schultern, auf den Bru&#x0364;¬<lb/>
&#x017F;ten und auf den Hu&#x0364;ften &#x017F;chimmerte das Wa&#x017F;&#x017F;er,<lb/>
aber noch mehr leuchteten ihre Augen, die &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;chweigend auf mich gerichtet hielt. Jetzt hob &#x017F;ie<lb/>
die Arme und bewegte &#x017F;ich gegen mich; aber<lb/>
ich, von einem heißkalten Schauer und Re&#x017F;pect<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">III. 9<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0139] mich vergeſſen hatte, ſah ich unverſehens die nackte Judith ſchon auf der Mitte dieſes Weges angelangt und auf mich zukommen. Sie war bis unter die Bruſt im Waſſer; ſie naͤherte ſich im Bogen und ich drehete mich magnetiſch nach ihren Bewegungen. Jetzt trat ſie aus dem ſchief uͤber das Fluͤßchen fallenden Schlagſchatten und erſchien ploͤtzlich im Mondlichte; zugleich erreichte ſie bald das Ufer und ſtieg immer hoͤher aus dem Waſſer und dieſes rauſchte jetzt glaͤnzend von ihren Huͤften und Knieen zuruͤck. Jetzt ſetzte ſie den triefenden weißen Fuß auf die trockenen Steine, ſah mich an und ich ſie; ſie war nur noch drei Schritte von mir und ſtand einen Au¬ genblick ſtill; ich ſah jedes Glied in dem hellen Lichte deutlich, aber wie fabelhaft vergroͤßert und verſchoͤnt, gleich einem uͤber lebensgroßen alten Marmorbilde. Auf den Schultern, auf den Bruͤ¬ ſten und auf den Huͤften ſchimmerte das Waſſer, aber noch mehr leuchteten ihre Augen, die ſie ſchweigend auf mich gerichtet hielt. Jetzt hob ſie die Arme und bewegte ſich gegen mich; aber ich, von einem heißkalten Schauer und Reſpect III. 9

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/139
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/139>, abgerufen am 23.11.2024.