Manchmal aber wurde Anna in solchen Stunden ganz munter und verhältnißmäßig red¬ selig; wir setzten uns dann um ihr Bett herum und führten ein gemächliches Gespräch über Per¬ sonen und Begebenheiten, bald heiterer Natur, und bald ernster, so daß Anna Bericht erhielt von dem, was unsere kleine Welt bewegte. Eines Tages, als meine Mutter in das Dorf gegangen war, fiel das Gespräch auf mich selbst, und der Schulmeister wie seine Tochter schienen es auf diesem Gegenstande so wohlwollend festhalten zu wollen, daß ich mich äußerst geschmeichelt fühlte, und aus behaglicher Dankbarkeit die größte Auf¬ richtigkeit entgegen brachte. Ich benutzte den An¬ laß, mein Verhältniß zu dem unglücklichen Römer zu erzählen, über welches ich seit jenem Briefe mit Niemanden gesprochen, und ich brach in die heftigsten Klagen über den Vorfall und mein Verhalten aus. Der Schulmeister verstand mich aber nicht recht; denn er wollte mich beruhigen und die Sache als nicht halb so schlimm dar¬
trauernder Kultus des Todes begangen zu werden.
Manchmal aber wurde Anna in ſolchen Stunden ganz munter und verhaͤltnißmaͤßig red¬ ſelig; wir ſetzten uns dann um ihr Bett herum und fuͤhrten ein gemaͤchliches Geſpraͤch uͤber Per¬ ſonen und Begebenheiten, bald heiterer Natur, und bald ernſter, ſo daß Anna Bericht erhielt von dem, was unſere kleine Welt bewegte. Eines Tages, als meine Mutter in das Dorf gegangen war, fiel das Geſpraͤch auf mich ſelbſt, und der Schulmeiſter wie ſeine Tochter ſchienen es auf dieſem Gegenſtande ſo wohlwollend feſthalten zu wollen, daß ich mich aͤußerſt geſchmeichelt fuͤhlte, und aus behaglicher Dankbarkeit die groͤßte Auf¬ richtigkeit entgegen brachte. Ich benutzte den An¬ laß, mein Verhaͤltniß zu dem ungluͤcklichen Roͤmer zu erzaͤhlen, uͤber welches ich ſeit jenem Briefe mit Niemanden geſprochen, und ich brach in die heftigſten Klagen uͤber den Vorfall und mein Verhalten aus. Der Schulmeiſter verſtand mich aber nicht recht; denn er wollte mich beruhigen und die Sache als nicht halb ſo ſchlimm dar¬
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[110/0120]
trauernder Kultus des Todes begangen zu
werden.
Manchmal aber wurde Anna in ſolchen
Stunden ganz munter und verhaͤltnißmaͤßig red¬
ſelig; wir ſetzten uns dann um ihr Bett herum
und fuͤhrten ein gemaͤchliches Geſpraͤch uͤber Per¬
ſonen und Begebenheiten, bald heiterer Natur,
und bald ernſter, ſo daß Anna Bericht erhielt
von dem, was unſere kleine Welt bewegte. Eines
Tages, als meine Mutter in das Dorf gegangen
war, fiel das Geſpraͤch auf mich ſelbſt, und der
Schulmeiſter wie ſeine Tochter ſchienen es auf
dieſem Gegenſtande ſo wohlwollend feſthalten zu
wollen, daß ich mich aͤußerſt geſchmeichelt fuͤhlte,
und aus behaglicher Dankbarkeit die groͤßte Auf¬
richtigkeit entgegen brachte. Ich benutzte den An¬
laß, mein Verhaͤltniß zu dem ungluͤcklichen Roͤmer
zu erzaͤhlen, uͤber welches ich ſeit jenem Briefe
mit Niemanden geſprochen, und ich brach in die
heftigſten Klagen uͤber den Vorfall und mein
Verhalten aus. Der Schulmeiſter verſtand mich
aber nicht recht; denn er wollte mich beruhigen
und die Sache als nicht halb ſo ſchlimm dar¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/120>, abgerufen am 22.11.2024.
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