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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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Portraitmaler hin, welcher jedes Jahr zwei Mal
in unsere Stadt gekommen, um die inzwischen
entstandenen Bräute und solche bejahrte Herr¬
schaften zu malen, die ihre silberne oder goldene
Hochzeit feierten, daneben auch etwa einen ange¬
sehenen Magistraten, welcher sich durch hinläng¬
liches öffentliches Wirken für die Verewigung
auf eindringliches Bitten seiner Verehrer reif
erachtete. Dieser Künstler war ein Habenichts
und Branntweinsäufer gewesen, hatte immer
Schulden hinterlassen, trotz dem reichlichen Ver¬
dienste, und war endlich auf der Landstraße er¬
froren. Hingegen wußte der Schreiner besseren
Rath, wenn einmal etwas Künstlerisches ergriffen
werden müsse. Ein junger Vetter von ihm hatte
sich in einer entfernteren Stadt als Landkarten¬
stecher ausgebildet und genoß einen reichlichen
und anständigen Erwerb, so daß er in den Augen
seiner Sippschaft als etwas Rechtes dastand.
Daher erbot sich der Rathgeber, mich aus be¬
sonderer Freundschaft in der Nähe dieses Man¬
nes unterzubringen, wo ich dann, wenn wirklich
etwas Tüchtiges in mir stäcke, es nicht nur bis

Portraitmaler hin, welcher jedes Jahr zwei Mal
in unſere Stadt gekommen, um die inzwiſchen
entſtandenen Braͤute und ſolche bejahrte Herr¬
ſchaften zu malen, die ihre ſilberne oder goldene
Hochzeit feierten, daneben auch etwa einen ange¬
ſehenen Magiſtraten, welcher ſich durch hinlaͤng¬
liches oͤffentliches Wirken fuͤr die Verewigung
auf eindringliches Bitten ſeiner Verehrer reif
erachtete. Dieſer Kuͤnſtler war ein Habenichts
und Branntweinſaͤufer geweſen, hatte immer
Schulden hinterlaſſen, trotz dem reichlichen Ver¬
dienſte, und war endlich auf der Landſtraße er¬
froren. Hingegen wußte der Schreiner beſſeren
Rath, wenn einmal etwas Kuͤnſtleriſches ergriffen
werden muͤſſe. Ein junger Vetter von ihm hatte
ſich in einer entfernteren Stadt als Landkarten¬
ſtecher ausgebildet und genoß einen reichlichen
und anſtaͤndigen Erwerb, ſo daß er in den Augen
ſeiner Sippſchaft als etwas Rechtes daſtand.
Daher erbot ſich der Rathgeber, mich aus be¬
ſonderer Freundſchaft in der Naͤhe dieſes Man¬
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[82/0092] Portraitmaler hin, welcher jedes Jahr zwei Mal in unſere Stadt gekommen, um die inzwiſchen entſtandenen Braͤute und ſolche bejahrte Herr¬ ſchaften zu malen, die ihre ſilberne oder goldene Hochzeit feierten, daneben auch etwa einen ange¬ ſehenen Magiſtraten, welcher ſich durch hinlaͤng¬ liches oͤffentliches Wirken fuͤr die Verewigung auf eindringliches Bitten ſeiner Verehrer reif erachtete. Dieſer Kuͤnſtler war ein Habenichts und Branntweinſaͤufer geweſen, hatte immer Schulden hinterlaſſen, trotz dem reichlichen Ver¬ dienſte, und war endlich auf der Landſtraße er¬ froren. Hingegen wußte der Schreiner beſſeren Rath, wenn einmal etwas Kuͤnſtleriſches ergriffen werden muͤſſe. Ein junger Vetter von ihm hatte ſich in einer entfernteren Stadt als Landkarten¬ ſtecher ausgebildet und genoß einen reichlichen und anſtaͤndigen Erwerb, ſo daß er in den Augen ſeiner Sippſchaft als etwas Rechtes daſtand. Daher erbot ſich der Rathgeber, mich aus be¬ ſonderer Freundſchaft in der Naͤhe dieſes Man¬ nes unterzubringen, wo ich dann, wenn wirklich etwas Tuͤchtiges in mir ſtaͤcke, es nicht nur bis

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/92>, abgerufen am 04.12.2024.