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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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wachsen und darüber die schönsten Wolken ziehen
und beides sich in klaren Gewässern spiegeln!
Man spricht, es werde Licht! und streut den
Sonnenschein beliebig über Kräuter und Steine
und läßt ihn unter schattigen Bäumen erlöschen.
Man reckt die Hand aus und es steht ein Un¬
wetter da, welches die braune Erde beängstigt
und läßt nachher die Sonne in Purpur unter¬
gehen! Und dies Alles, ohne sich mit schlechten
Menschen vertragen zu müssen; es ist kein Mi߬
ton im ganzen Thun!"

"Giebt es denn eine solche Art der Kunst
und wird sie anerkannt?" fragte der gute Schul¬
meister ganz verblüfft.

"Ja wohl," erwiederte ich, "in den Städten,
in den Häusern der Vornehmen, da hängen
schöne glänzende Gemälde, welche meistens stille
grüne Wildnisse vorstellen, so reizend und treff¬
lich gemalt, als sähe man in Gottes freie Natur,
und die eingeschlossenen, gefangenen Menschen
erfrischen ihre Augen an den unschuldigen Bil¬
dern und nähren Diejenigen reichlich, welche sie
zu Stande bringen!"

wachſen und daruͤber die ſchoͤnſten Wolken ziehen
und beides ſich in klaren Gewaͤſſern ſpiegeln!
Man ſpricht, es werde Licht! und ſtreut den
Sonnenſchein beliebig uͤber Kraͤuter und Steine
und laͤßt ihn unter ſchattigen Baͤumen erloͤſchen.
Man reckt die Hand aus und es ſteht ein Un¬
wetter da, welches die braune Erde beaͤngſtigt
und laͤßt nachher die Sonne in Purpur unter¬
gehen! Und dies Alles, ohne ſich mit ſchlechten
Menſchen vertragen zu muͤſſen; es iſt kein Mi߬
ton im ganzen Thun!«

»Giebt es denn eine ſolche Art der Kunſt
und wird ſie anerkannt?« fragte der gute Schul¬
meiſter ganz verbluͤfft.

»Ja wohl,« erwiederte ich, »in den Staͤdten,
in den Haͤuſern der Vornehmen, da haͤngen
ſchoͤne glaͤnzende Gemaͤlde, welche meiſtens ſtille
gruͤne Wildniſſe vorſtellen, ſo reizend und treff¬
lich gemalt, als ſaͤhe man in Gottes freie Natur,
und die eingeſchloſſenen, gefangenen Menſchen
erfriſchen ihre Augen an den unſchuldigen Bil¬
dern und naͤhren Diejenigen reichlich, welche ſie
zu Stande bringen!«

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[71/0081] wachſen und daruͤber die ſchoͤnſten Wolken ziehen und beides ſich in klaren Gewaͤſſern ſpiegeln! Man ſpricht, es werde Licht! und ſtreut den Sonnenſchein beliebig uͤber Kraͤuter und Steine und laͤßt ihn unter ſchattigen Baͤumen erloͤſchen. Man reckt die Hand aus und es ſteht ein Un¬ wetter da, welches die braune Erde beaͤngſtigt und laͤßt nachher die Sonne in Purpur unter¬ gehen! Und dies Alles, ohne ſich mit ſchlechten Menſchen vertragen zu muͤſſen; es iſt kein Mi߬ ton im ganzen Thun!« »Giebt es denn eine ſolche Art der Kunſt und wird ſie anerkannt?« fragte der gute Schul¬ meiſter ganz verbluͤfft. »Ja wohl,« erwiederte ich, »in den Staͤdten, in den Haͤuſern der Vornehmen, da haͤngen ſchoͤne glaͤnzende Gemaͤlde, welche meiſtens ſtille gruͤne Wildniſſe vorſtellen, ſo reizend und treff¬ lich gemalt, als ſaͤhe man in Gottes freie Natur, und die eingeſchloſſenen, gefangenen Menſchen erfriſchen ihre Augen an den unſchuldigen Bil¬ dern und naͤhren Diejenigen reichlich, welche ſie zu Stande bringen!«

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/81>, abgerufen am 25.11.2024.