wachsen und darüber die schönsten Wolken ziehen und beides sich in klaren Gewässern spiegeln! Man spricht, es werde Licht! und streut den Sonnenschein beliebig über Kräuter und Steine und läßt ihn unter schattigen Bäumen erlöschen. Man reckt die Hand aus und es steht ein Un¬ wetter da, welches die braune Erde beängstigt und läßt nachher die Sonne in Purpur unter¬ gehen! Und dies Alles, ohne sich mit schlechten Menschen vertragen zu müssen; es ist kein Mi߬ ton im ganzen Thun!"
"Giebt es denn eine solche Art der Kunst und wird sie anerkannt?" fragte der gute Schul¬ meister ganz verblüfft.
"Ja wohl," erwiederte ich, "in den Städten, in den Häusern der Vornehmen, da hängen schöne glänzende Gemälde, welche meistens stille grüne Wildnisse vorstellen, so reizend und treff¬ lich gemalt, als sähe man in Gottes freie Natur, und die eingeschlossenen, gefangenen Menschen erfrischen ihre Augen an den unschuldigen Bil¬ dern und nähren Diejenigen reichlich, welche sie zu Stande bringen!"
wachſen und daruͤber die ſchoͤnſten Wolken ziehen und beides ſich in klaren Gewaͤſſern ſpiegeln! Man ſpricht, es werde Licht! und ſtreut den Sonnenſchein beliebig uͤber Kraͤuter und Steine und laͤßt ihn unter ſchattigen Baͤumen erloͤſchen. Man reckt die Hand aus und es ſteht ein Un¬ wetter da, welches die braune Erde beaͤngſtigt und laͤßt nachher die Sonne in Purpur unter¬ gehen! Und dies Alles, ohne ſich mit ſchlechten Menſchen vertragen zu muͤſſen; es iſt kein Mi߬ ton im ganzen Thun!«
»Giebt es denn eine ſolche Art der Kunſt und wird ſie anerkannt?« fragte der gute Schul¬ meiſter ganz verbluͤfft.
»Ja wohl,« erwiederte ich, »in den Staͤdten, in den Haͤuſern der Vornehmen, da haͤngen ſchoͤne glaͤnzende Gemaͤlde, welche meiſtens ſtille gruͤne Wildniſſe vorſtellen, ſo reizend und treff¬ lich gemalt, als ſaͤhe man in Gottes freie Natur, und die eingeſchloſſenen, gefangenen Menſchen erfriſchen ihre Augen an den unſchuldigen Bil¬ dern und naͤhren Diejenigen reichlich, welche ſie zu Stande bringen!«
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0081"n="71"/>
wachſen und daruͤber die ſchoͤnſten Wolken ziehen<lb/>
und beides ſich in klaren Gewaͤſſern ſpiegeln!<lb/>
Man ſpricht, es werde Licht! und ſtreut den<lb/>
Sonnenſchein beliebig uͤber Kraͤuter und Steine<lb/>
und laͤßt ihn unter ſchattigen Baͤumen erloͤſchen.<lb/>
Man reckt die Hand aus und es ſteht ein Un¬<lb/>
wetter da, welches die braune Erde beaͤngſtigt<lb/>
und laͤßt nachher die Sonne in Purpur unter¬<lb/>
gehen! Und dies Alles, ohne ſich mit ſchlechten<lb/>
Menſchen vertragen zu muͤſſen; es iſt kein Mi߬<lb/>
ton im ganzen Thun!«</p><lb/><p>»Giebt es denn eine ſolche Art der Kunſt<lb/>
und wird ſie anerkannt?« fragte der gute Schul¬<lb/>
meiſter ganz verbluͤfft.</p><lb/><p>»Ja wohl,« erwiederte ich, »in den Staͤdten,<lb/>
in den Haͤuſern der Vornehmen, da haͤngen<lb/>ſchoͤne glaͤnzende Gemaͤlde, welche meiſtens ſtille<lb/>
gruͤne Wildniſſe vorſtellen, ſo reizend und treff¬<lb/>
lich gemalt, als ſaͤhe man in Gottes freie Natur,<lb/>
und die eingeſchloſſenen, gefangenen Menſchen<lb/>
erfriſchen ihre Augen an den unſchuldigen Bil¬<lb/>
dern und naͤhren Diejenigen reichlich, welche ſie<lb/>
zu Stande bringen!«</p><lb/></div></body></text></TEI>
[71/0081]
wachſen und daruͤber die ſchoͤnſten Wolken ziehen
und beides ſich in klaren Gewaͤſſern ſpiegeln!
Man ſpricht, es werde Licht! und ſtreut den
Sonnenſchein beliebig uͤber Kraͤuter und Steine
und laͤßt ihn unter ſchattigen Baͤumen erloͤſchen.
Man reckt die Hand aus und es ſteht ein Un¬
wetter da, welches die braune Erde beaͤngſtigt
und laͤßt nachher die Sonne in Purpur unter¬
gehen! Und dies Alles, ohne ſich mit ſchlechten
Menſchen vertragen zu muͤſſen; es iſt kein Mi߬
ton im ganzen Thun!«
»Giebt es denn eine ſolche Art der Kunſt
und wird ſie anerkannt?« fragte der gute Schul¬
meiſter ganz verbluͤfft.
»Ja wohl,« erwiederte ich, »in den Staͤdten,
in den Haͤuſern der Vornehmen, da haͤngen
ſchoͤne glaͤnzende Gemaͤlde, welche meiſtens ſtille
gruͤne Wildniſſe vorſtellen, ſo reizend und treff¬
lich gemalt, als ſaͤhe man in Gottes freie Natur,
und die eingeſchloſſenen, gefangenen Menſchen
erfriſchen ihre Augen an den unſchuldigen Bil¬
dern und naͤhren Diejenigen reichlich, welche ſie
zu Stande bringen!«
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/81>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.