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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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ersten Mal seither mein Herz leeren konnte, be¬
sann er sich eine Weile, indem er verschiedene
Hm! und So so! hervorstieß, und fuhr dann
fort:

"Das ist ein ganz eigenes Geschick! Zuerst
müsset Ihr nun Euch nicht überheben und etwa
einen hochmüthigen Groll auf das Erlittene be¬
gründen, welcher Euch für das ganze Leben schäd¬
lich sein könnte! Ihr müsset bedenken, daß Ihr
doch das Unrecht und den Muthwillen der Uebri¬
gen getheilt habt und Euch hiernach glücklich
preisen, daß Ihr in so frühem Alter schon von
Gott selbst eine ernste Strafe und Belehrung
empfangen; denn das, was Euch widerfahren,
ist nicht die Gerechtigkeit der Menschen, sondern
ein unmittelbares Eingreifen des Herrn der Welt,
womit er Euch frühzeitig gewürdigt und gezeigt
hat, daß er mit Euch nicht zu spaßen gedenkt,
sondern Euch seine eigenen strengen Wege führen
will. Nachdem Ihr also dieses scheinbare Un¬
glück dankbar und reuevoll angenommen und
das vermeintliche Unrecht vergeben und vergessen,
müßt Ihr allein darauf bedacht sein, dem Ernste

II. 5

erſten Mal ſeither mein Herz leeren konnte, be¬
ſann er ſich eine Weile, indem er verſchiedene
Hm! und So ſo! hervorſtieß, und fuhr dann
fort:

»Das iſt ein ganz eigenes Geſchick! Zuerſt
muͤſſet Ihr nun Euch nicht uͤberheben und etwa
einen hochmuͤthigen Groll auf das Erlittene be¬
gruͤnden, welcher Euch fuͤr das ganze Leben ſchaͤd¬
lich ſein koͤnnte! Ihr muͤſſet bedenken, daß Ihr
doch das Unrecht und den Muthwillen der Uebri¬
gen getheilt habt und Euch hiernach gluͤcklich
preiſen, daß Ihr in ſo fruͤhem Alter ſchon von
Gott ſelbſt eine ernſte Strafe und Belehrung
empfangen; denn das, was Euch widerfahren,
iſt nicht die Gerechtigkeit der Menſchen, ſondern
ein unmittelbares Eingreifen des Herrn der Welt,
womit er Euch fruͤhzeitig gewuͤrdigt und gezeigt
hat, daß er mit Euch nicht zu ſpaßen gedenkt,
ſondern Euch ſeine eigenen ſtrengen Wege fuͤhren
will. Nachdem Ihr alſo dieſes ſcheinbare Un¬
gluͤck dankbar und reuevoll angenommen und
das vermeintliche Unrecht vergeben und vergeſſen,
muͤßt Ihr allein darauf bedacht ſein, dem Ernſte

II. 5
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[65/0075] erſten Mal ſeither mein Herz leeren konnte, be¬ ſann er ſich eine Weile, indem er verſchiedene Hm! und So ſo! hervorſtieß, und fuhr dann fort: »Das iſt ein ganz eigenes Geſchick! Zuerſt muͤſſet Ihr nun Euch nicht uͤberheben und etwa einen hochmuͤthigen Groll auf das Erlittene be¬ gruͤnden, welcher Euch fuͤr das ganze Leben ſchaͤd¬ lich ſein koͤnnte! Ihr muͤſſet bedenken, daß Ihr doch das Unrecht und den Muthwillen der Uebri¬ gen getheilt habt und Euch hiernach gluͤcklich preiſen, daß Ihr in ſo fruͤhem Alter ſchon von Gott ſelbſt eine ernſte Strafe und Belehrung empfangen; denn das, was Euch widerfahren, iſt nicht die Gerechtigkeit der Menſchen, ſondern ein unmittelbares Eingreifen des Herrn der Welt, womit er Euch fruͤhzeitig gewuͤrdigt und gezeigt hat, daß er mit Euch nicht zu ſpaßen gedenkt, ſondern Euch ſeine eigenen ſtrengen Wege fuͤhren will. Nachdem Ihr alſo dieſes ſcheinbare Un¬ gluͤck dankbar und reuevoll angenommen und das vermeintliche Unrecht vergeben und vergeſſen, muͤßt Ihr allein darauf bedacht ſein, dem Ernſte II. 5

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/75>, abgerufen am 12.12.2024.