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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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rauben will, wurden wir hinausgeworfen und
führten vor den Thüren einen vergeblichen Kampf,
dieselben wieder aufzubrechen. Da gingen sie mit
einem Male nach einer kurzen Stille von selber
auf und heraustraten, verschämt und unwillig
und doch siegbewußt, die drei armen Kinder,
bunt und prächtig, nach der vorjährigen Mode
gekleidet, mit vorweltlichen Parasols und wun¬
derbar geformten Ridiküls, der eine einem
Sterne gleich, der andere einem Halbmonde, der
dritte ein Mittelding zwischen Säbeltasche und
Lyra.

Dies Alles mußte um so größeren Eindruck
machen, wenn man bedachte, daß die guten Mäd¬
chen Autodidaktinnen waren und in Sachen des
Putzes ganz allein und rathlos in der Welt da¬
standen; denn ihre Mutter hatte einen Abscheu
vor aller Stadtkleidung, und riß jedesmal, wenn
sie aus der Kirche kam, die furchtbare Horia¬
haube, welche sie als Pfarrfrau trug, sogleich
herunter. Die Damen des neuen Pfarrers, außer¬
dem die einzigen im Dorfe, waren stolz, unzu¬
gänglich und bezogen ihren Putz fertig aus der

rauben will, wurden wir hinausgeworfen und
fuͤhrten vor den Thuͤren einen vergeblichen Kampf,
dieſelben wieder aufzubrechen. Da gingen ſie mit
einem Male nach einer kurzen Stille von ſelber
auf und heraustraten, verſchaͤmt und unwillig
und doch ſiegbewußt, die drei armen Kinder,
bunt und praͤchtig, nach der vorjaͤhrigen Mode
gekleidet, mit vorweltlichen Paraſols und wun¬
derbar geformten Ridikuͤls, der eine einem
Sterne gleich, der andere einem Halbmonde, der
dritte ein Mittelding zwiſchen Saͤbeltaſche und
Lyra.

Dies Alles mußte um ſo groͤßeren Eindruck
machen, wenn man bedachte, daß die guten Maͤd¬
chen Autodidaktinnen waren und in Sachen des
Putzes ganz allein und rathlos in der Welt da¬
ſtanden; denn ihre Mutter hatte einen Abſcheu
vor aller Stadtkleidung, und riß jedesmal, wenn
ſie aus der Kirche kam, die furchtbare Horia¬
haube, welche ſie als Pfarrfrau trug, ſogleich
herunter. Die Damen des neuen Pfarrers, außer¬
dem die einzigen im Dorfe, waren ſtolz, unzu¬
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[54/0064] rauben will, wurden wir hinausgeworfen und fuͤhrten vor den Thuͤren einen vergeblichen Kampf, dieſelben wieder aufzubrechen. Da gingen ſie mit einem Male nach einer kurzen Stille von ſelber auf und heraustraten, verſchaͤmt und unwillig und doch ſiegbewußt, die drei armen Kinder, bunt und praͤchtig, nach der vorjaͤhrigen Mode gekleidet, mit vorweltlichen Paraſols und wun¬ derbar geformten Ridikuͤls, der eine einem Sterne gleich, der andere einem Halbmonde, der dritte ein Mittelding zwiſchen Saͤbeltaſche und Lyra. Dies Alles mußte um ſo groͤßeren Eindruck machen, wenn man bedachte, daß die guten Maͤd¬ chen Autodidaktinnen waren und in Sachen des Putzes ganz allein und rathlos in der Welt da¬ ſtanden; denn ihre Mutter hatte einen Abſcheu vor aller Stadtkleidung, und riß jedesmal, wenn ſie aus der Kirche kam, die furchtbare Horia¬ haube, welche ſie als Pfarrfrau trug, ſogleich herunter. Die Damen des neuen Pfarrers, außer¬ dem die einzigen im Dorfe, waren ſtolz, unzu¬ gaͤnglich und bezogen ihren Putz fertig aus der

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/64>, abgerufen am 04.12.2024.