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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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prächtigem Mantel und Krone herausfordernd vor
die verschränkten Reihen, wie ein König aus al¬
ter Zeit, der den Feind zum Einzelkampfe auf¬
ruft. Dieser Recke war in jedem Aste und jeder
Laubmasse so fest und klar, so lebens- und got¬
tesfreudig, daß seine Sicherheit mich blendete und
ich mit leichter Mühe seine Gestalt bezwingen zu
können wähnte. Schon saß ich vor ihm und
meine Hand lag mit dem Stifte auf dem weißen
Papiere, indessen eine geraume Weile verging,
ehe ich mich zu dem ersten Strich entschließen
konnte; denn je mehr ich den Riesen an einer be¬
stimmten Stelle genauer ansah, desto unnahbarer
schien mir dieselbe und mit jeder Minute verlor
ich mehr meine Unbefangenheit. Endlich wagte
ich, von unten anfangend, einige Striche und
suchte den schön gegliederten Fuß des mächtigen
Stammes festzuhalten; aber was ich machte, war
leben- und bedeutungslos, die Sonnenstrahlen
spielten durch das Laub auf dem Stamme, be¬
leuchteten die markigen Züge und ließen sie wie¬
der verschwinden, bald lächelte ein grauer Silber¬
fleck, bald eine saftige Moosstelle aus dem Hell¬

praͤchtigem Mantel und Krone herausfordernd vor
die verſchraͤnkten Reihen, wie ein Koͤnig aus al¬
ter Zeit, der den Feind zum Einzelkampfe auf¬
ruft. Dieſer Recke war in jedem Aſte und jeder
Laubmaſſe ſo feſt und klar, ſo lebens- und got¬
tesfreudig, daß ſeine Sicherheit mich blendete und
ich mit leichter Muͤhe ſeine Geſtalt bezwingen zu
koͤnnen waͤhnte. Schon ſaß ich vor ihm und
meine Hand lag mit dem Stifte auf dem weißen
Papiere, indeſſen eine geraume Weile verging,
ehe ich mich zu dem erſten Strich entſchließen
konnte; denn je mehr ich den Rieſen an einer be¬
ſtimmten Stelle genauer anſah, deſto unnahbarer
ſchien mir dieſelbe und mit jeder Minute verlor
ich mehr meine Unbefangenheit. Endlich wagte
ich, von unten anfangend, einige Striche und
ſuchte den ſchoͤn gegliederten Fuß des maͤchtigen
Stammes feſtzuhalten; aber was ich machte, war
leben- und bedeutungslos, die Sonnenſtrahlen
ſpielten durch das Laub auf dem Stamme, be¬
leuchteten die markigen Zuͤge und ließen ſie wie¬
der verſchwinden, bald laͤchelte ein grauer Silber¬
fleck, bald eine ſaftige Moosſtelle aus dem Hell¬

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[44/0054] praͤchtigem Mantel und Krone herausfordernd vor die verſchraͤnkten Reihen, wie ein Koͤnig aus al¬ ter Zeit, der den Feind zum Einzelkampfe auf¬ ruft. Dieſer Recke war in jedem Aſte und jeder Laubmaſſe ſo feſt und klar, ſo lebens- und got¬ tesfreudig, daß ſeine Sicherheit mich blendete und ich mit leichter Muͤhe ſeine Geſtalt bezwingen zu koͤnnen waͤhnte. Schon ſaß ich vor ihm und meine Hand lag mit dem Stifte auf dem weißen Papiere, indeſſen eine geraume Weile verging, ehe ich mich zu dem erſten Strich entſchließen konnte; denn je mehr ich den Rieſen an einer be¬ ſtimmten Stelle genauer anſah, deſto unnahbarer ſchien mir dieſelbe und mit jeder Minute verlor ich mehr meine Unbefangenheit. Endlich wagte ich, von unten anfangend, einige Striche und ſuchte den ſchoͤn gegliederten Fuß des maͤchtigen Stammes feſtzuhalten; aber was ich machte, war leben- und bedeutungslos, die Sonnenſtrahlen ſpielten durch das Laub auf dem Stamme, be¬ leuchteten die markigen Zuͤge und ließen ſie wie¬ der verſchwinden, bald laͤchelte ein grauer Silber¬ fleck, bald eine ſaftige Moosſtelle aus dem Hell¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/54>, abgerufen am 25.11.2024.