kaum nahm ich mir Zeit, dies rührende und zier¬ liche Geschenk einzustecken und eilte wieder da¬ von. Die Großmutter sah mir, so weit ihre schwachen Augen reichten, etwas wehmüthig nach; denn sie hatte mir die heilige Gabe mit besonde¬ rer Liebe und Feierlichkeit einhändigen wollen. Aber ich schwand ihr eilig aus dem Gesichte, al¬ lein begierig, meine angefachte Kunsteinsicht an den Mann oder vielmehr an die Bäume zu bringen.
Mit einer Mappe und Zubehör versehen, schritt ich bereits unter den grünen Hallen des Berg¬ waldes hin, jeden Baum betrachtend, aber nir¬ gends eigentlich einen Gegenstand sehend, weil der stolze Wald eng verschlungen, Arm in Arm stand und mir keinen seiner Söhne einzeln Preis gab; die Sträucher und Steine, die Kräuter und Blumen, die Formen des Bodens schmiegten und duckten sich unter den Schutz der Bäume und verbanden sich überall mit dem großen Ganzen, welches mir lächelnd nachsah und meiner Rath¬ losigkeit zu spotten schien. Endlich trat ein ge¬ waltiger Buchbaum mit reichem Stamme und
kaum nahm ich mir Zeit, dies ruͤhrende und zier¬ liche Geſchenk einzuſtecken und eilte wieder da¬ von. Die Großmutter ſah mir, ſo weit ihre ſchwachen Augen reichten, etwas wehmuͤthig nach; denn ſie hatte mir die heilige Gabe mit beſonde¬ rer Liebe und Feierlichkeit einhaͤndigen wollen. Aber ich ſchwand ihr eilig aus dem Geſichte, al¬ lein begierig, meine angefachte Kunſteinſicht an den Mann oder vielmehr an die Baͤume zu bringen.
Mit einer Mappe und Zubehoͤr verſehen, ſchritt ich bereits unter den gruͤnen Hallen des Berg¬ waldes hin, jeden Baum betrachtend, aber nir¬ gends eigentlich einen Gegenſtand ſehend, weil der ſtolze Wald eng verſchlungen, Arm in Arm ſtand und mir keinen ſeiner Soͤhne einzeln Preis gab; die Straͤucher und Steine, die Kraͤuter und Blumen, die Formen des Bodens ſchmiegten und duckten ſich unter den Schutz der Baͤume und verbanden ſich uͤberall mit dem großen Ganzen, welches mir laͤchelnd nachſah und meiner Rath¬ loſigkeit zu ſpotten ſchien. Endlich trat ein ge¬ waltiger Buchbaum mit reichem Stamme und
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kaum nahm ich mir Zeit, dies ruͤhrende und zier¬
liche Geſchenk einzuſtecken und eilte wieder da¬
von. Die Großmutter ſah mir, ſo weit ihre
ſchwachen Augen reichten, etwas wehmuͤthig nach;
denn ſie hatte mir die heilige Gabe mit beſonde¬
rer Liebe und Feierlichkeit einhaͤndigen wollen.
Aber ich ſchwand ihr eilig aus dem Geſichte, al¬
lein begierig, meine angefachte Kunſteinſicht an
den Mann oder vielmehr an die Baͤume zu
bringen.
Mit einer Mappe und Zubehoͤr verſehen, ſchritt
ich bereits unter den gruͤnen Hallen des Berg¬
waldes hin, jeden Baum betrachtend, aber nir¬
gends eigentlich einen Gegenſtand ſehend, weil
der ſtolze Wald eng verſchlungen, Arm in Arm
ſtand und mir keinen ſeiner Soͤhne einzeln Preis
gab; die Straͤucher und Steine, die Kraͤuter und
Blumen, die Formen des Bodens ſchmiegten und
duckten ſich unter den Schutz der Baͤume und
verbanden ſich uͤberall mit dem großen Ganzen,
welches mir laͤchelnd nachſah und meiner Rath¬
loſigkeit zu ſpotten ſchien. Endlich trat ein ge¬
waltiger Buchbaum mit reichem Stamme und
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/53>, abgerufen am 04.12.2024.
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