Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

gungen nachhing. Es war in dem Werklein viel
von Genie und eigener Bahn und solchen Din¬
gen die Rede, von Leichtsinn, Drangsal und end¬
licher Verklärung, Ruhm und Glück. Ich schlug
es still und gedankenvoll zu, dachte zwar nicht
sehr tief, war jedoch, wenn auch nicht klar be¬
wußt, für die Bande geworben.

Es ist bei der besten Erziehung nicht zu ver¬
hüten, daß dieser folgenreiche und gefährliche Au¬
genblick nicht über empfängliche junge Häupter
komme, unbemerkt von aller Umgebung, und
wohl nur Wenigen ist es vergönnt, daß sie erst
das leidige Wort Genie kennen lernen, nachdem
sie unbefangen und arglos bereits ein gesundes
Stück Leben, Lernen, Schaffen und Gelingen hin¬
ter sich haben. Ja, es ist überhaupt die Frage,
ob nicht zu dem bescheidensten Gelingen eine dichte
Unterlage von bewußten Vorsätzen und allem Ap¬
parate genialer Grübelei gehöre, und der Unter¬
schied möchte oft nur darin bestehen, daß das
wirkliche Genie diesen Apparat nicht sehen läßt,
sondern vorweg verbrennt, während das bloß ver¬
meintliche ihn mit großem Aufwande hervorkehrt

gungen nachhing. Es war in dem Werklein viel
von Genie und eigener Bahn und ſolchen Din¬
gen die Rede, von Leichtſinn, Drangſal und end¬
licher Verklaͤrung, Ruhm und Gluͤck. Ich ſchlug
es ſtill und gedankenvoll zu, dachte zwar nicht
ſehr tief, war jedoch, wenn auch nicht klar be¬
wußt, fuͤr die Bande geworben.

Es iſt bei der beſten Erziehung nicht zu ver¬
huͤten, daß dieſer folgenreiche und gefaͤhrliche Au¬
genblick nicht uͤber empfaͤngliche junge Haͤupter
komme, unbemerkt von aller Umgebung, und
wohl nur Wenigen iſt es vergoͤnnt, daß ſie erſt
das leidige Wort Genie kennen lernen, nachdem
ſie unbefangen und arglos bereits ein geſundes
Stuͤck Leben, Lernen, Schaffen und Gelingen hin¬
ter ſich haben. Ja, es iſt uͤberhaupt die Frage,
ob nicht zu dem beſcheidenſten Gelingen eine dichte
Unterlage von bewußten Vorſaͤtzen und allem Ap¬
parate genialer Gruͤbelei gehoͤre, und der Unter¬
ſchied moͤchte oft nur darin beſtehen, daß das
wirkliche Genie dieſen Apparat nicht ſehen laͤßt,
ſondern vorweg verbrennt, waͤhrend das bloß ver¬
meintliche ihn mit großem Aufwande hervorkehrt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0050" n="40"/>
gungen nachhing. Es war in dem Werklein viel<lb/>
von Genie und eigener Bahn und &#x017F;olchen Din¬<lb/>
gen die Rede, von Leicht&#x017F;inn, Drang&#x017F;al und end¬<lb/>
licher Verkla&#x0364;rung, Ruhm und Glu&#x0364;ck. Ich &#x017F;chlug<lb/>
es &#x017F;till und gedankenvoll zu, dachte zwar nicht<lb/>
&#x017F;ehr tief, war jedoch, wenn auch nicht klar be¬<lb/>
wußt, fu&#x0364;r die Bande geworben.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t bei der be&#x017F;ten Erziehung nicht zu ver¬<lb/>
hu&#x0364;ten, daß die&#x017F;er folgenreiche und gefa&#x0364;hrliche Au¬<lb/>
genblick nicht u&#x0364;ber empfa&#x0364;ngliche junge Ha&#x0364;upter<lb/>
komme, unbemerkt von aller Umgebung, und<lb/>
wohl nur Wenigen i&#x017F;t es vergo&#x0364;nnt, daß &#x017F;ie er&#x017F;t<lb/>
das leidige Wort Genie kennen lernen, nachdem<lb/>
&#x017F;ie unbefangen und arglos bereits ein ge&#x017F;undes<lb/>
Stu&#x0364;ck Leben, Lernen, Schaffen und Gelingen hin¬<lb/>
ter &#x017F;ich haben. Ja, es i&#x017F;t u&#x0364;berhaupt die Frage,<lb/>
ob nicht zu dem be&#x017F;cheiden&#x017F;ten Gelingen eine dichte<lb/>
Unterlage von bewußten Vor&#x017F;a&#x0364;tzen und allem Ap¬<lb/>
parate genialer Gru&#x0364;belei geho&#x0364;re, und der Unter¬<lb/>
&#x017F;chied mo&#x0364;chte oft nur darin be&#x017F;tehen, daß das<lb/>
wirkliche Genie die&#x017F;en Apparat nicht &#x017F;ehen la&#x0364;ßt,<lb/>
&#x017F;ondern vorweg verbrennt, wa&#x0364;hrend das bloß ver¬<lb/>
meintliche ihn mit großem Aufwande hervorkehrt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0050] gungen nachhing. Es war in dem Werklein viel von Genie und eigener Bahn und ſolchen Din¬ gen die Rede, von Leichtſinn, Drangſal und end¬ licher Verklaͤrung, Ruhm und Gluͤck. Ich ſchlug es ſtill und gedankenvoll zu, dachte zwar nicht ſehr tief, war jedoch, wenn auch nicht klar be¬ wußt, fuͤr die Bande geworben. Es iſt bei der beſten Erziehung nicht zu ver¬ huͤten, daß dieſer folgenreiche und gefaͤhrliche Au¬ genblick nicht uͤber empfaͤngliche junge Haͤupter komme, unbemerkt von aller Umgebung, und wohl nur Wenigen iſt es vergoͤnnt, daß ſie erſt das leidige Wort Genie kennen lernen, nachdem ſie unbefangen und arglos bereits ein geſundes Stuͤck Leben, Lernen, Schaffen und Gelingen hin¬ ter ſich haben. Ja, es iſt uͤberhaupt die Frage, ob nicht zu dem beſcheidenſten Gelingen eine dichte Unterlage von bewußten Vorſaͤtzen und allem Ap¬ parate genialer Gruͤbelei gehoͤre, und der Unter¬ ſchied moͤchte oft nur darin beſtehen, daß das wirkliche Genie dieſen Apparat nicht ſehen laͤßt, ſondern vorweg verbrennt, waͤhrend das bloß ver¬ meintliche ihn mit großem Aufwande hervorkehrt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/50
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/50>, abgerufen am 30.01.2025.