klemmung der Vergangenheit wieder heran; jen¬ seits des Thales lag der Wald in silbergrauem Duft, die Terrassen hoben sich merklich von ein¬ ander los, ihre laubigen Umrisse, von der Mor¬ gensonne bestreift, waren hellgrün, jede bedeutende Baumgruppe zeichnete sich groß und schön in dem zusammenhaltenden Dufte und schien ein Spiel¬ werk für die nachahmende Hand zu sein; meine Schulstunde wollte aber nicht vorübergehen, ob¬ schon ich längst nicht mehr aufmerkte.
Ungeduldig ging ich, ein Lehrbuch der Physik in der Hand, hin und her und durch mehrere Zimmer, bis ich in einem derselben die weltliche Bibliothek des Hauses entdeckte; ein breiter alter Strohhut, wie ihn die Mädchen zur Feldarbeit brauchen, hing darüber und verbarg sie beinahe ganz. Wie ich denselben aber wegnahm, sah ich eine kleine Schaar guter Franzbände mit golde¬ nem Rücken, ich zog einen Quartband hervor, blies den dichten Staub davon und schlug die Geßner'schen Werke auf, in dickem Schreibpapier, mit einer Menge Vignetten und Bildern ge¬ schmückt. Ueberall wo ich blätterte, war von
klemmung der Vergangenheit wieder heran; jen¬ ſeits des Thales lag der Wald in ſilbergrauem Duft, die Terraſſen hoben ſich merklich von ein¬ ander los, ihre laubigen Umriſſe, von der Mor¬ genſonne beſtreift, waren hellgruͤn, jede bedeutende Baumgruppe zeichnete ſich groß und ſchoͤn in dem zuſammenhaltenden Dufte und ſchien ein Spiel¬ werk fuͤr die nachahmende Hand zu ſein; meine Schulſtunde wollte aber nicht voruͤbergehen, ob¬ ſchon ich laͤngſt nicht mehr aufmerkte.
Ungeduldig ging ich, ein Lehrbuch der Phyſik in der Hand, hin und her und durch mehrere Zimmer, bis ich in einem derſelben die weltliche Bibliothek des Hauſes entdeckte; ein breiter alter Strohhut, wie ihn die Maͤdchen zur Feldarbeit brauchen, hing daruͤber und verbarg ſie beinahe ganz. Wie ich denſelben aber wegnahm, ſah ich eine kleine Schaar guter Franzbaͤnde mit golde¬ nem Ruͤcken, ich zog einen Quartband hervor, blies den dichten Staub davon und ſchlug die Geßner'ſchen Werke auf, in dickem Schreibpapier, mit einer Menge Vignetten und Bildern ge¬ ſchmuͤckt. Ueberall wo ich blaͤtterte, war von
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0048"n="38"/>
klemmung der Vergangenheit wieder heran; jen¬<lb/>ſeits des Thales lag der Wald in ſilbergrauem<lb/>
Duft, die Terraſſen hoben ſich merklich von ein¬<lb/>
ander los, ihre laubigen Umriſſe, von der Mor¬<lb/>
genſonne beſtreift, waren hellgruͤn, jede bedeutende<lb/>
Baumgruppe zeichnete ſich groß und ſchoͤn in dem<lb/>
zuſammenhaltenden Dufte und ſchien ein Spiel¬<lb/>
werk fuͤr die nachahmende Hand zu ſein; meine<lb/>
Schulſtunde wollte aber nicht voruͤbergehen, ob¬<lb/>ſchon ich laͤngſt nicht mehr aufmerkte.</p><lb/><p>Ungeduldig ging ich, ein Lehrbuch der Phyſik<lb/>
in der Hand, hin und her und durch mehrere<lb/>
Zimmer, bis ich in einem derſelben die weltliche<lb/>
Bibliothek des Hauſes entdeckte; ein breiter alter<lb/>
Strohhut, wie ihn die Maͤdchen zur Feldarbeit<lb/>
brauchen, hing daruͤber und verbarg ſie beinahe<lb/>
ganz. Wie ich denſelben aber wegnahm, ſah ich<lb/>
eine kleine Schaar guter Franzbaͤnde mit golde¬<lb/>
nem Ruͤcken, ich zog einen Quartband hervor,<lb/>
blies den dichten Staub davon und ſchlug die<lb/>
Geßner'ſchen Werke auf, in dickem Schreibpapier,<lb/>
mit einer Menge Vignetten und Bildern ge¬<lb/>ſchmuͤckt. Ueberall wo ich blaͤtterte, war von<lb/></p></div></body></text></TEI>
[38/0048]
klemmung der Vergangenheit wieder heran; jen¬
ſeits des Thales lag der Wald in ſilbergrauem
Duft, die Terraſſen hoben ſich merklich von ein¬
ander los, ihre laubigen Umriſſe, von der Mor¬
genſonne beſtreift, waren hellgruͤn, jede bedeutende
Baumgruppe zeichnete ſich groß und ſchoͤn in dem
zuſammenhaltenden Dufte und ſchien ein Spiel¬
werk fuͤr die nachahmende Hand zu ſein; meine
Schulſtunde wollte aber nicht voruͤbergehen, ob¬
ſchon ich laͤngſt nicht mehr aufmerkte.
Ungeduldig ging ich, ein Lehrbuch der Phyſik
in der Hand, hin und her und durch mehrere
Zimmer, bis ich in einem derſelben die weltliche
Bibliothek des Hauſes entdeckte; ein breiter alter
Strohhut, wie ihn die Maͤdchen zur Feldarbeit
brauchen, hing daruͤber und verbarg ſie beinahe
ganz. Wie ich denſelben aber wegnahm, ſah ich
eine kleine Schaar guter Franzbaͤnde mit golde¬
nem Ruͤcken, ich zog einen Quartband hervor,
blies den dichten Staub davon und ſchlug die
Geßner'ſchen Werke auf, in dickem Schreibpapier,
mit einer Menge Vignetten und Bildern ge¬
ſchmuͤckt. Ueberall wo ich blaͤtterte, war von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/48>, abgerufen am 04.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.