gangen, die dich gelockt hätte? Besinne dich ein¬ mal hierauf!" Ich besann mich in der That und sagte dann ganz entschieden: "Nein, mit gar kei¬ ner!" "Also bist du mir auch ein Bischen gut?" fuhr sie fort. Jetzt gerieth ich in die größte Ver¬ legenheit; denn die Frage zu bejahen, fühlte ich nun deutlich, würde die erste eigentliche Untreue gewesen sein und doch, indem es mich trieb, ehr¬ lich nachzudenken, konnte ich noch weniger ein Nein hervorbringen. Endlich konnte ich doch nicht anders und sagte: "Ja -- aber doch nicht so, wie der Anna!" -- "Wie denn?" Ich um¬ schlang sie ungestüm und indem ich sie streichelte und ihr auf alle Weise schmeichelte, fuhr ich fort: "Siehst du! für die Anna möchte ich alles Mög¬ liche ertragen und jedem Winke gehorchen; ich möchte für sie ein braver und ehrenvoller Mann werden, an welchem Alles durch und durch rein und klar ist, daß sie mich durchschauen dürfte wie einen Krystall, Nichts thun, ohne ihrer zu geden¬ ken und in alle Ewigkeit mit ihrer Seele leben, auch wenn ich von heute an sie nicht mehr sehen würde! Dies Alles könnte ich für dich nicht
gangen, die dich gelockt haͤtte? Beſinne dich ein¬ mal hierauf!« Ich beſann mich in der That und ſagte dann ganz entſchieden: »Nein, mit gar kei¬ ner!« »Alſo biſt du mir auch ein Bischen gut?« fuhr ſie fort. Jetzt gerieth ich in die groͤßte Ver¬ legenheit; denn die Frage zu bejahen, fuͤhlte ich nun deutlich, wuͤrde die erſte eigentliche Untreue geweſen ſein und doch, indem es mich trieb, ehr¬ lich nachzudenken, konnte ich noch weniger ein Nein hervorbringen. Endlich konnte ich doch nicht anders und ſagte: »Ja — aber doch nicht ſo, wie der Anna!« — »Wie denn?« Ich um¬ ſchlang ſie ungeſtuͤm und indem ich ſie ſtreichelte und ihr auf alle Weiſe ſchmeichelte, fuhr ich fort: »Siehſt du! fuͤr die Anna moͤchte ich alles Moͤg¬ liche ertragen und jedem Winke gehorchen; ich moͤchte fuͤr ſie ein braver und ehrenvoller Mann werden, an welchem Alles durch und durch rein und klar iſt, daß ſie mich durchſchauen duͤrfte wie einen Kryſtall, Nichts thun, ohne ihrer zu geden¬ ken und in alle Ewigkeit mit ihrer Seele leben, auch wenn ich von heute an ſie nicht mehr ſehen wuͤrde! Dies Alles koͤnnte ich fuͤr dich nicht
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0460"n="450"/>
gangen, die dich gelockt haͤtte? Beſinne dich ein¬<lb/>
mal hierauf!« Ich beſann mich in der That und<lb/>ſagte dann ganz entſchieden: »Nein, mit gar kei¬<lb/>
ner!« »Alſo biſt du mir auch ein Bischen gut?«<lb/>
fuhr ſie fort. Jetzt gerieth ich in die groͤßte Ver¬<lb/>
legenheit; denn die Frage zu bejahen, fuͤhlte ich<lb/>
nun deutlich, wuͤrde die erſte eigentliche Untreue<lb/>
geweſen ſein und doch, indem es mich trieb, ehr¬<lb/>
lich nachzudenken, konnte ich noch weniger ein<lb/>
Nein hervorbringen. Endlich konnte ich doch<lb/>
nicht anders und ſagte: »Ja — aber doch nicht<lb/>ſo, wie der Anna!« — »Wie denn?« Ich um¬<lb/>ſchlang ſie ungeſtuͤm und indem ich ſie ſtreichelte<lb/>
und ihr auf alle Weiſe ſchmeichelte, fuhr ich fort:<lb/>
»Siehſt du! fuͤr die Anna moͤchte ich alles Moͤg¬<lb/>
liche ertragen und jedem Winke gehorchen; ich<lb/>
moͤchte fuͤr ſie ein braver und ehrenvoller Mann<lb/>
werden, an welchem Alles durch und durch rein<lb/>
und klar iſt, daß ſie mich durchſchauen duͤrfte wie<lb/>
einen Kryſtall, Nichts thun, ohne ihrer zu geden¬<lb/>
ken und in alle Ewigkeit mit ihrer Seele leben,<lb/>
auch wenn ich von heute an ſie nicht mehr ſehen<lb/>
wuͤrde! Dies Alles koͤnnte ich fuͤr dich nicht<lb/></p></div></body></text></TEI>
[450/0460]
gangen, die dich gelockt haͤtte? Beſinne dich ein¬
mal hierauf!« Ich beſann mich in der That und
ſagte dann ganz entſchieden: »Nein, mit gar kei¬
ner!« »Alſo biſt du mir auch ein Bischen gut?«
fuhr ſie fort. Jetzt gerieth ich in die groͤßte Ver¬
legenheit; denn die Frage zu bejahen, fuͤhlte ich
nun deutlich, wuͤrde die erſte eigentliche Untreue
geweſen ſein und doch, indem es mich trieb, ehr¬
lich nachzudenken, konnte ich noch weniger ein
Nein hervorbringen. Endlich konnte ich doch
nicht anders und ſagte: »Ja — aber doch nicht
ſo, wie der Anna!« — »Wie denn?« Ich um¬
ſchlang ſie ungeſtuͤm und indem ich ſie ſtreichelte
und ihr auf alle Weiſe ſchmeichelte, fuhr ich fort:
»Siehſt du! fuͤr die Anna moͤchte ich alles Moͤg¬
liche ertragen und jedem Winke gehorchen; ich
moͤchte fuͤr ſie ein braver und ehrenvoller Mann
werden, an welchem Alles durch und durch rein
und klar iſt, daß ſie mich durchſchauen duͤrfte wie
einen Kryſtall, Nichts thun, ohne ihrer zu geden¬
ken und in alle Ewigkeit mit ihrer Seele leben,
auch wenn ich von heute an ſie nicht mehr ſehen
wuͤrde! Dies Alles koͤnnte ich fuͤr dich nicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/460>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.