sah ich Einen, welcher sich zu den tollsten Sprün¬ gen angestrengt, und den ich für einen jungen Taugenichts gehalten, nunmehr nach der Entlar¬ vung als ein eisgraues Männchen zum Vorschein kommen und sich hastig mit einem rauchenden Fichtenklotze abquälen.
Ich wandte mich endlich hinweg und ging langsam davon, unschlüssig, ob ich nach Hause gehen oder dem Städtchen zusteuern sollte. Mein Mantel, der Degen und die Armbrust waren mir längst hinderlich; ich nahm Alles zusammen un¬ ter dem Arm, und indem ich rascher von der All¬ mende herunter schritt, fühlte ich mich so munter und lebenslustig, wie am frühen Morgen, und je länger ich ging, desto stärker erwachte mir ein unbändiger Durst, einmal die Nacht zu durch¬ schwärmen, und zugleich ein mächtiger Zorn, daß ich Anna so leichten Kaufes entlassen. Ich bil¬ dete mir ein, ganz der Mann dazu zu sein, in hohem Liebesglücke ein Liebchen eine festliche Nacht entlang zu führen, unter Tanz, Be¬ cherklang, Scherz und Kuß. Ich machte mir die bittersten Vorwürfe, den einzigen Tag so unge¬
ſah ich Einen, welcher ſich zu den tollſten Spruͤn¬ gen angeſtrengt, und den ich fuͤr einen jungen Taugenichts gehalten, nunmehr nach der Entlar¬ vung als ein eisgraues Maͤnnchen zum Vorſchein kommen und ſich haſtig mit einem rauchenden Fichtenklotze abquaͤlen.
Ich wandte mich endlich hinweg und ging langſam davon, unſchluͤſſig, ob ich nach Hauſe gehen oder dem Staͤdtchen zuſteuern ſollte. Mein Mantel, der Degen und die Armbruſt waren mir laͤngſt hinderlich; ich nahm Alles zuſammen un¬ ter dem Arm, und indem ich raſcher von der All¬ mende herunter ſchritt, fuͤhlte ich mich ſo munter und lebensluſtig, wie am fruͤhen Morgen, und je laͤnger ich ging, deſto ſtaͤrker erwachte mir ein unbaͤndiger Durſt, einmal die Nacht zu durch¬ ſchwaͤrmen, und zugleich ein maͤchtiger Zorn, daß ich Anna ſo leichten Kaufes entlaſſen. Ich bil¬ dete mir ein, ganz der Mann dazu zu ſein, in hohem Liebesgluͤcke ein Liebchen eine feſtliche Nacht entlang zu fuͤhren, unter Tanz, Be¬ cherklang, Scherz und Kuß. Ich machte mir die bitterſten Vorwuͤrfe, den einzigen Tag ſo unge¬
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ſah ich Einen, welcher ſich zu den tollſten Spruͤn¬
gen angeſtrengt, und den ich fuͤr einen jungen
Taugenichts gehalten, nunmehr nach der Entlar¬
vung als ein eisgraues Maͤnnchen zum Vorſchein
kommen und ſich haſtig mit einem rauchenden
Fichtenklotze abquaͤlen.
Ich wandte mich endlich hinweg und ging
langſam davon, unſchluͤſſig, ob ich nach Hauſe
gehen oder dem Staͤdtchen zuſteuern ſollte. Mein
Mantel, der Degen und die Armbruſt waren mir
laͤngſt hinderlich; ich nahm Alles zuſammen un¬
ter dem Arm, und indem ich raſcher von der All¬
mende herunter ſchritt, fuͤhlte ich mich ſo munter
und lebensluſtig, wie am fruͤhen Morgen, und
je laͤnger ich ging, deſto ſtaͤrker erwachte mir ein
unbaͤndiger Durſt, einmal die Nacht zu durch¬
ſchwaͤrmen, und zugleich ein maͤchtiger Zorn, daß
ich Anna ſo leichten Kaufes entlaſſen. Ich bil¬
dete mir ein, ganz der Mann dazu zu ſein, in
hohem Liebesgluͤcke ein Liebchen eine feſtliche
Nacht entlang zu fuͤhren, unter Tanz, Be¬
cherklang, Scherz und Kuß. Ich machte mir die
bitterſten Vorwuͤrfe, den einzigen Tag ſo unge¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/434>, abgerufen am 23.11.2024.
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