Unheimliches zwischen uns an's Licht geführt, gar gezeigt hätte, daß Eines von uns das Andere nicht liebe; und doch fühlte ich wahrer als je meine Liebe und wagte auch nicht zu denken, daß Anna mich nicht lieben sollte. Den wahren Grund der schreckhaften Begebenheit ahnte ich gar nicht; denn ich hatte keine Ahnung davon, daß in jenem Alter das rothe Blut weiser sei, als der Geist, und sich von selbst zurückdämme, wenn es in un¬ gehörige Wellen geschlagen worden. Anna hin¬ gegen mochte sich hauptsächlich vorwerfen, daß sie nun doch für ihr Nachgeben, dem Feste beizu¬ wohnen, bestraft und ihre eigene Art und Weise, unser Verhältniß nach ihrem freien und zarten Fühlen sich entwickeln zu lassen, gewaltsam ge¬ stört worden sei. Wäre ich ein paar Jahre älter gewesen als sie, so hätte ich ein gewisses Recht und damit auch die Kraft und Sicherheit gehabt, ihre Sprödigkeit zu überwinden und zu beruhigen; so aber vermehrte meine eigene Rathlosigkeit die Vorwürfe, die sie sich machte, während doch alle Schuld auf mir lag. Ja, es schien nun ausge¬ macht, daß eigentlich mein Plan, daß sie heute
Unheimliches zwiſchen uns an's Licht gefuͤhrt, gar gezeigt haͤtte, daß Eines von uns das Andere nicht liebe; und doch fuͤhlte ich wahrer als je meine Liebe und wagte auch nicht zu denken, daß Anna mich nicht lieben ſollte. Den wahren Grund der ſchreckhaften Begebenheit ahnte ich gar nicht; denn ich hatte keine Ahnung davon, daß in jenem Alter das rothe Blut weiſer ſei, als der Geiſt, und ſich von ſelbſt zuruͤckdaͤmme, wenn es in un¬ gehoͤrige Wellen geſchlagen worden. Anna hin¬ gegen mochte ſich hauptſaͤchlich vorwerfen, daß ſie nun doch fuͤr ihr Nachgeben, dem Feſte beizu¬ wohnen, beſtraft und ihre eigene Art und Weiſe, unſer Verhaͤltniß nach ihrem freien und zarten Fuͤhlen ſich entwickeln zu laſſen, gewaltſam ge¬ ſtoͤrt worden ſei. Waͤre ich ein paar Jahre aͤlter geweſen als ſie, ſo haͤtte ich ein gewiſſes Recht und damit auch die Kraft und Sicherheit gehabt, ihre Sproͤdigkeit zu uͤberwinden und zu beruhigen; ſo aber vermehrte meine eigene Rathloſigkeit die Vorwuͤrfe, die ſie ſich machte, waͤhrend doch alle Schuld auf mir lag. Ja, es ſchien nun ausge¬ macht, daß eigentlich mein Plan, daß ſie heute
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Unheimliches zwiſchen uns an's Licht gefuͤhrt, gar
gezeigt haͤtte, daß Eines von uns das Andere
nicht liebe; und doch fuͤhlte ich wahrer als je
meine Liebe und wagte auch nicht zu denken, daß
Anna mich nicht lieben ſollte. Den wahren Grund
der ſchreckhaften Begebenheit ahnte ich gar nicht;
denn ich hatte keine Ahnung davon, daß in jenem
Alter das rothe Blut weiſer ſei, als der Geiſt,
und ſich von ſelbſt zuruͤckdaͤmme, wenn es in un¬
gehoͤrige Wellen geſchlagen worden. Anna hin¬
gegen mochte ſich hauptſaͤchlich vorwerfen, daß ſie
nun doch fuͤr ihr Nachgeben, dem Feſte beizu¬
wohnen, beſtraft und ihre eigene Art und Weiſe,
unſer Verhaͤltniß nach ihrem freien und zarten
Fuͤhlen ſich entwickeln zu laſſen, gewaltſam ge¬
ſtoͤrt worden ſei. Waͤre ich ein paar Jahre aͤlter
geweſen als ſie, ſo haͤtte ich ein gewiſſes Recht
und damit auch die Kraft und Sicherheit gehabt,
ihre Sproͤdigkeit zu uͤberwinden und zu beruhigen;
ſo aber vermehrte meine eigene Rathloſigkeit die
Vorwuͤrfe, die ſie ſich machte, waͤhrend doch alle
Schuld auf mir lag. Ja, es ſchien nun ausge¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/425>, abgerufen am 23.11.2024.
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