halde, ganz nah, leuchtete mit Felsen und Fichten im hellen Sonnenscheine durch die dunklen Stämme, unter denen wir zogen, und warf ein wunder¬ bares Zwielicht in die schattigen Hallen unseres Tannenwaldes. Der Boden wurde jetzt so ab¬ schüssig, daß wir absteigen mußten. Als ich Anna vom Pferde hob, küßten wir uns zum zwei¬ ten Male, sie sprang aber sogleich weg und wan¬ delte vor mir über den weichen grünen Teppich hinunter, während ich die beiden Thiere führte. Wie ich die reizende, fast mährchenhafte Gestalt so durch die Tannen gehen sah, glaubte ich wie¬ der zu träumen und hatte die größte Mühe, die Pferde nicht fahren zu lassen, um mich von der Wirklichkeit zu überzeugen, indem ich ihr nach¬ stürzte und sie in die Arme schloß. So kamen wir endlich an das Wasser und sahen nun, daß wir uns bei der Heidenstube befanden, in einem wohlbekannten Bezirke. Hier war es wo mög¬ lich noch stiller, als in dem Tannenwalde, und am allerheimlichsten; die besonnte Felswand spie¬ gelte sich in dem reinen Wasser, über ihr kreisten drei große Weihen in der Luft, sich unaufhörlich
halde, ganz nah, leuchtete mit Felſen und Fichten im hellen Sonnenſcheine durch die dunklen Staͤmme, unter denen wir zogen, und warf ein wunder¬ bares Zwielicht in die ſchattigen Hallen unſeres Tannenwaldes. Der Boden wurde jetzt ſo ab¬ ſchuͤſſig, daß wir abſteigen mußten. Als ich Anna vom Pferde hob, kuͤßten wir uns zum zwei¬ ten Male, ſie ſprang aber ſogleich weg und wan¬ delte vor mir uͤber den weichen gruͤnen Teppich hinunter, waͤhrend ich die beiden Thiere fuͤhrte. Wie ich die reizende, faſt maͤhrchenhafte Geſtalt ſo durch die Tannen gehen ſah, glaubte ich wie¬ der zu traͤumen und hatte die groͤßte Muͤhe, die Pferde nicht fahren zu laſſen, um mich von der Wirklichkeit zu uͤberzeugen, indem ich ihr nach¬ ſtuͤrzte und ſie in die Arme ſchloß. So kamen wir endlich an das Waſſer und ſahen nun, daß wir uns bei der Heidenſtube befanden, in einem wohlbekannten Bezirke. Hier war es wo moͤg¬ lich noch ſtiller, als in dem Tannenwalde, und am allerheimlichſten; die beſonnte Felswand ſpie¬ gelte ſich in dem reinen Waſſer, uͤber ihr kreiſten drei große Weihen in der Luft, ſich unaufhoͤrlich
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halde, ganz nah, leuchtete mit Felſen und Fichten
im hellen Sonnenſcheine durch die dunklen Staͤmme,
unter denen wir zogen, und warf ein wunder¬
bares Zwielicht in die ſchattigen Hallen unſeres
Tannenwaldes. Der Boden wurde jetzt ſo ab¬
ſchuͤſſig, daß wir abſteigen mußten. Als ich
Anna vom Pferde hob, kuͤßten wir uns zum zwei¬
ten Male, ſie ſprang aber ſogleich weg und wan¬
delte vor mir uͤber den weichen gruͤnen Teppich
hinunter, waͤhrend ich die beiden Thiere fuͤhrte.
Wie ich die reizende, faſt maͤhrchenhafte Geſtalt
ſo durch die Tannen gehen ſah, glaubte ich wie¬
der zu traͤumen und hatte die groͤßte Muͤhe, die
Pferde nicht fahren zu laſſen, um mich von der
Wirklichkeit zu uͤberzeugen, indem ich ihr nach¬
ſtuͤrzte und ſie in die Arme ſchloß. So kamen
wir endlich an das Waſſer und ſahen nun, daß
wir uns bei der Heidenſtube befanden, in einem
wohlbekannten Bezirke. Hier war es wo moͤg¬
lich noch ſtiller, als in dem Tannenwalde, und
am allerheimlichſten; die beſonnte Felswand ſpie¬
gelte ſich in dem reinen Waſſer, uͤber ihr kreiſten
drei große Weihen in der Luft, ſich unaufhoͤrlich
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/420>, abgerufen am 27.11.2024.
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