Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

rechten Tick keine liebliche Musik; es wurde mir
ängstlich, ob ich diesen auch erwischen würde, da
ich einzusehen begann, daß für alles dies rüstige
Volk die Freiheit erst ein Gut war, wenn es sich
seines Brotes versichert hatte, und ich fühlte vor
den langen nun leeren Tischreihen, daß selbst
dieses Fest bei hungrigem Magen und leerem
Beutel ein sehr trübseliges gewesen wäre. Ich
war froh, daß wir endlich aufbrachen. Anna's
Vater schlug vor, wir Beide sollten uns zu ihm
in's Fuhrwerk setzen, damit wir zusammen dem
Schauspiele nachführen; doch gab sie den Wunsch
zu erkennen, lieber noch ein Mal den Schimmel
zu besteigen und noch ein wenig hinaus zu reiten,
da es später unter keinem Vorwande mehr ge¬
schehen würde. Hiermit war der Schulmeister
auch zufrieden und erklärte: so wolle er wenig¬
stens mit uns fahren, bis er etwa Gelegenheit
finde, einer bejahrten Person den Heimweg zu
erleichtern, da ihn die Jungen alle im Stiche lie¬
ßen. Ich aber lief mit frohen Gedanken nach dem
Hause, wo unsere Pferde standen, ließ dieselben
auf die Straße bringen, und als ich Anna in

rechten Tick keine liebliche Muſik; es wurde mir
aͤngſtlich, ob ich dieſen auch erwiſchen wuͤrde, da
ich einzuſehen begann, daß fuͤr alles dies ruͤſtige
Volk die Freiheit erſt ein Gut war, wenn es ſich
ſeines Brotes verſichert hatte, und ich fuͤhlte vor
den langen nun leeren Tiſchreihen, daß ſelbſt
dieſes Feſt bei hungrigem Magen und leerem
Beutel ein ſehr truͤbſeliges geweſen waͤre. Ich
war froh, daß wir endlich aufbrachen. Anna's
Vater ſchlug vor, wir Beide ſollten uns zu ihm
in's Fuhrwerk ſetzen, damit wir zuſammen dem
Schauſpiele nachfuͤhren; doch gab ſie den Wunſch
zu erkennen, lieber noch ein Mal den Schimmel
zu beſteigen und noch ein wenig hinaus zu reiten,
da es ſpaͤter unter keinem Vorwande mehr ge¬
ſchehen wuͤrde. Hiermit war der Schulmeiſter
auch zufrieden und erklaͤrte: ſo wolle er wenig¬
ſtens mit uns fahren, bis er etwa Gelegenheit
finde, einer bejahrten Perſon den Heimweg zu
erleichtern, da ihn die Jungen alle im Stiche lie¬
ßen. Ich aber lief mit frohen Gedanken nach dem
Hauſe, wo unſere Pferde ſtanden, ließ dieſelben
auf die Straße bringen, und als ich Anna in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0412" n="402"/>
rechten Tick keine liebliche Mu&#x017F;ik; es wurde mir<lb/>
a&#x0364;ng&#x017F;tlich, ob ich die&#x017F;en auch erwi&#x017F;chen wu&#x0364;rde, da<lb/>
ich einzu&#x017F;ehen begann, daß fu&#x0364;r alles dies ru&#x0364;&#x017F;tige<lb/>
Volk die Freiheit er&#x017F;t ein Gut war, wenn es &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;eines Brotes ver&#x017F;ichert hatte, und ich fu&#x0364;hlte vor<lb/>
den langen nun leeren Ti&#x017F;chreihen, daß &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
die&#x017F;es Fe&#x017F;t bei hungrigem Magen und leerem<lb/>
Beutel ein &#x017F;ehr tru&#x0364;b&#x017F;eliges gewe&#x017F;en wa&#x0364;re. Ich<lb/>
war froh, daß wir endlich aufbrachen. Anna's<lb/>
Vater &#x017F;chlug vor, wir Beide &#x017F;ollten uns zu ihm<lb/>
in's Fuhrwerk &#x017F;etzen, damit wir zu&#x017F;ammen dem<lb/>
Schau&#x017F;piele nachfu&#x0364;hren; doch gab &#x017F;ie den Wun&#x017F;ch<lb/>
zu erkennen, lieber noch ein Mal den Schimmel<lb/>
zu be&#x017F;teigen und noch ein wenig hinaus zu reiten,<lb/>
da es &#x017F;pa&#x0364;ter unter keinem Vorwande mehr ge¬<lb/>
&#x017F;chehen wu&#x0364;rde. Hiermit war der Schulmei&#x017F;ter<lb/>
auch zufrieden und erkla&#x0364;rte: &#x017F;o wolle er wenig¬<lb/>
&#x017F;tens mit uns fahren, bis er etwa Gelegenheit<lb/>
finde, einer bejahrten Per&#x017F;on den Heimweg zu<lb/>
erleichtern, da ihn die Jungen alle im Stiche lie¬<lb/>
ßen. Ich aber lief mit frohen Gedanken nach dem<lb/>
Hau&#x017F;e, wo un&#x017F;ere Pferde &#x017F;tanden, ließ die&#x017F;elben<lb/>
auf die Straße bringen, und als ich Anna in<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[402/0412] rechten Tick keine liebliche Muſik; es wurde mir aͤngſtlich, ob ich dieſen auch erwiſchen wuͤrde, da ich einzuſehen begann, daß fuͤr alles dies ruͤſtige Volk die Freiheit erſt ein Gut war, wenn es ſich ſeines Brotes verſichert hatte, und ich fuͤhlte vor den langen nun leeren Tiſchreihen, daß ſelbſt dieſes Feſt bei hungrigem Magen und leerem Beutel ein ſehr truͤbſeliges geweſen waͤre. Ich war froh, daß wir endlich aufbrachen. Anna's Vater ſchlug vor, wir Beide ſollten uns zu ihm in's Fuhrwerk ſetzen, damit wir zuſammen dem Schauſpiele nachfuͤhren; doch gab ſie den Wunſch zu erkennen, lieber noch ein Mal den Schimmel zu beſteigen und noch ein wenig hinaus zu reiten, da es ſpaͤter unter keinem Vorwande mehr ge¬ ſchehen wuͤrde. Hiermit war der Schulmeiſter auch zufrieden und erklaͤrte: ſo wolle er wenig¬ ſtens mit uns fahren, bis er etwa Gelegenheit finde, einer bejahrten Perſon den Heimweg zu erleichtern, da ihn die Jungen alle im Stiche lie¬ ßen. Ich aber lief mit frohen Gedanken nach dem Hauſe, wo unſere Pferde ſtanden, ließ dieſelben auf die Straße bringen, und als ich Anna in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/412
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/412>, abgerufen am 23.11.2024.