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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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dern oder ein Patriarch zu seinen Hirten, sondern
unbefangen wie ein Mann, der mit dem Andern
ein Geschäft zu verrichten und eine Pflicht zu er¬
füllen hat. Er strebte weder herablassend, noch
leutselig zu sein, am wenigsten suchte er den be¬
soldeten Diener des Volkes zu affectiren. Er
gründete seine Festigkeit gar nicht auf die Amts¬
ehre, sondern auf das Pflichtgefühl; doch wenn
er nicht mehr sein wollte als ein Anderer, so
wollte er auch nicht weniger sein. Oder vielmehr
wollte er gar nicht, denn er war Alles, was
er vorstellte. Und doch war er kein unabhängi¬
ger Mann; einer reichen, aber verschwenderischen
Familie entsprossen und in seiner Jugend selbst
ein lustiger Vogel, kehrte er mit erlangter Be¬
sonnenheit gerade in das väterliche Haus zurück,
als dasselbe in Verfall gerieth; es war gar Nichts
zu leben übrig geblieben, sein verkommener, lär¬
mender Vater mußte noch erhalten werden, so
sah sich der junge Mann genöthigt, gleich ein
Amt zu suchen und war endlich unter vielen Wech¬
seln und Erfahrungen Einer von Denen gewor¬
den, die ohne ihr Amt Bettler und Regierungs¬

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dern oder ein Patriarch zu ſeinen Hirten, ſondern
unbefangen wie ein Mann, der mit dem Andern
ein Geſchaͤft zu verrichten und eine Pflicht zu er¬
fuͤllen hat. Er ſtrebte weder herablaſſend, noch
leutſelig zu ſein, am wenigſten ſuchte er den be¬
ſoldeten Diener des Volkes zu affectiren. Er
gruͤndete ſeine Feſtigkeit gar nicht auf die Amts¬
ehre, ſondern auf das Pflichtgefuͤhl; doch wenn
er nicht mehr ſein wollte als ein Anderer, ſo
wollte er auch nicht weniger ſein. Oder vielmehr
wollte er gar nicht, denn er war Alles, was
er vorſtellte. Und doch war er kein unabhaͤngi¬
ger Mann; einer reichen, aber verſchwenderiſchen
Familie entſproſſen und in ſeiner Jugend ſelbſt
ein luſtiger Vogel, kehrte er mit erlangter Be¬
ſonnenheit gerade in das vaͤterliche Haus zuruͤck,
als daſſelbe in Verfall gerieth; es war gar Nichts
zu leben uͤbrig geblieben, ſein verkommener, laͤr¬
mender Vater mußte noch erhalten werden, ſo
ſah ſich der junge Mann genoͤthigt, gleich ein
Amt zu ſuchen und war endlich unter vielen Wech¬
ſeln und Erfahrungen Einer von Denen gewor¬
den, die ohne ihr Amt Bettler und Regierungs¬

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[387/0397] dern oder ein Patriarch zu ſeinen Hirten, ſondern unbefangen wie ein Mann, der mit dem Andern ein Geſchaͤft zu verrichten und eine Pflicht zu er¬ fuͤllen hat. Er ſtrebte weder herablaſſend, noch leutſelig zu ſein, am wenigſten ſuchte er den be¬ ſoldeten Diener des Volkes zu affectiren. Er gruͤndete ſeine Feſtigkeit gar nicht auf die Amts¬ ehre, ſondern auf das Pflichtgefuͤhl; doch wenn er nicht mehr ſein wollte als ein Anderer, ſo wollte er auch nicht weniger ſein. Oder vielmehr wollte er gar nicht, denn er war Alles, was er vorſtellte. Und doch war er kein unabhaͤngi¬ ger Mann; einer reichen, aber verſchwenderiſchen Familie entſproſſen und in ſeiner Jugend ſelbſt ein luſtiger Vogel, kehrte er mit erlangter Be¬ ſonnenheit gerade in das vaͤterliche Haus zuruͤck, als daſſelbe in Verfall gerieth; es war gar Nichts zu leben uͤbrig geblieben, ſein verkommener, laͤr¬ mender Vater mußte noch erhalten werden, ſo ſah ſich der junge Mann genoͤthigt, gleich ein Amt zu ſuchen und war endlich unter vielen Wech¬ ſeln und Erfahrungen Einer von Denen gewor¬ den, die ohne ihr Amt Bettler und Regierungs¬ 25*

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/397>, abgerufen am 23.11.2024.