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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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waren, ließen sie sich nun von ihren Cameraden,
den ländlichen Cavalieren, spröde den Hof ma¬
chen und ahmten auf's Beste die Art sittsamer
Frauen nach. Die wirklichen Mädchen betrachte¬
ten aus der Entfernung ziemlich wohlgefällig
ihre neuen Rivalinnen; doch wenn die verkleide¬
ten Schälke plötzlich sich unter sie mischten und
ein mädchenhaft vertrauliches Wort flüstern woll¬
ten, fuhren sie schreiend auseinander. Aber dies
alles belustigte mich nicht sehr, da ich mich ge¬
nug um Anna zu kümmern hatte. Sie saß am
Ehrenplatze zwischen ihrem Vater und dem Re¬
gierungsstatthalter, gegenüber dem Tell und sei¬
ner wirklichen anwesenden Ehefrau. Nachdem sie
schon ihrer reizenden und vornehmen Erscheinung
wegen die allgemeine Aufmerksamkeit erregt,
machte sich nun auch der ehrbare Ruf ihres Va¬
ters, ihre feine Erziehung und im Hintergrunde
ihr artiges Erbe geltend; ich mußte zu meiner
großen Bekümmerniß sehen, wie der Platz, wo sie
saß, von allerhand hoffnungsvollen Gesellen be¬
lagert wurde, ja wie alle vier Facultäten sich be¬
strebten, dem gravitätischen Schulmeister zu Ge¬

waren, ließen ſie ſich nun von ihren Cameraden,
den laͤndlichen Cavalieren, ſproͤde den Hof ma¬
chen und ahmten auf's Beſte die Art ſittſamer
Frauen nach. Die wirklichen Maͤdchen betrachte¬
ten aus der Entfernung ziemlich wohlgefaͤllig
ihre neuen Rivalinnen; doch wenn die verkleide¬
ten Schaͤlke ploͤtzlich ſich unter ſie miſchten und
ein maͤdchenhaft vertrauliches Wort fluͤſtern woll¬
ten, fuhren ſie ſchreiend auseinander. Aber dies
alles beluſtigte mich nicht ſehr, da ich mich ge¬
nug um Anna zu kuͤmmern hatte. Sie ſaß am
Ehrenplatze zwiſchen ihrem Vater und dem Re¬
gierungsſtatthalter, gegenuͤber dem Tell und ſei¬
ner wirklichen anweſenden Ehefrau. Nachdem ſie
ſchon ihrer reizenden und vornehmen Erſcheinung
wegen die allgemeine Aufmerkſamkeit erregt,
machte ſich nun auch der ehrbare Ruf ihres Va¬
ters, ihre feine Erziehung und im Hintergrunde
ihr artiges Erbe geltend; ich mußte zu meiner
großen Bekuͤmmerniß ſehen, wie der Platz, wo ſie
ſaß, von allerhand hoffnungsvollen Geſellen be¬
lagert wurde, ja wie alle vier Facultaͤten ſich be¬
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[370/0380] waren, ließen ſie ſich nun von ihren Cameraden, den laͤndlichen Cavalieren, ſproͤde den Hof ma¬ chen und ahmten auf's Beſte die Art ſittſamer Frauen nach. Die wirklichen Maͤdchen betrachte¬ ten aus der Entfernung ziemlich wohlgefaͤllig ihre neuen Rivalinnen; doch wenn die verkleide¬ ten Schaͤlke ploͤtzlich ſich unter ſie miſchten und ein maͤdchenhaft vertrauliches Wort fluͤſtern woll¬ ten, fuhren ſie ſchreiend auseinander. Aber dies alles beluſtigte mich nicht ſehr, da ich mich ge¬ nug um Anna zu kuͤmmern hatte. Sie ſaß am Ehrenplatze zwiſchen ihrem Vater und dem Re¬ gierungsſtatthalter, gegenuͤber dem Tell und ſei¬ ner wirklichen anweſenden Ehefrau. Nachdem ſie ſchon ihrer reizenden und vornehmen Erſcheinung wegen die allgemeine Aufmerkſamkeit erregt, machte ſich nun auch der ehrbare Ruf ihres Va¬ ters, ihre feine Erziehung und im Hintergrunde ihr artiges Erbe geltend; ich mußte zu meiner großen Bekuͤmmerniß ſehen, wie der Platz, wo ſie ſaß, von allerhand hoffnungsvollen Geſellen be¬ lagert wurde, ja wie alle vier Facultaͤten ſich be¬ ſtrebten, dem gravitaͤtiſchen Schulmeiſter zu Ge¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/380>, abgerufen am 23.11.2024.