Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

schon manchen Centner Taback verraucht hatte,
gelassen zur Ruhe zu bringen, indem sie sagten,
er möge doch die jungen Fänte schreien lassen,
die Zeit werde so gut über sie hinweggehen, wie
über uns! Alles umsonst! Eines Morgens schloß
er seinen hagestolzlichen Kunsttempel zu und
rannte wie verrückt nach dem St. Gotthard, hin¬
über und kam nicht wieder. Nachdem ihm die
Hallunken zu Rom den Zopf abgeschnitten bei
einer Sauferei, verlor er allen Halt und alle
Ehrbarkeit und starb in seinen alten Tagen nicht
an Altersschwäche, sondern an dem römischen
Wein und an den römischen Weibsbilden. Diese
Mappe ließ er zufällig bei uns zurück."

Wir durchblätterten nun die vergilbten Pa¬
piere; es waren ein Dutzend Baumstudien in
Kreide und Rothstift, nicht sehr körperlich und
sicher gezeichnet, doch von einem tüchtigen dilet¬
tantischen Streben zeugend, nebst einigen verbla߬
ten Farbenskizzen und einer großen in Oel ge¬
malten Eiche. "Dies nannte er Baumschlag,"
sagte mein Oheim, "und machte ein großes We¬
sen daraus. Das Geheimniß desselben hatte er

ſchon manchen Centner Taback verraucht hatte,
gelaſſen zur Ruhe zu bringen, indem ſie ſagten,
er moͤge doch die jungen Faͤnte ſchreien laſſen,
die Zeit werde ſo gut uͤber ſie hinweggehen, wie
uͤber uns! Alles umſonſt! Eines Morgens ſchloß
er ſeinen hageſtolzlichen Kunſttempel zu und
rannte wie verruͤckt nach dem St. Gotthard, hin¬
uͤber und kam nicht wieder. Nachdem ihm die
Hallunken zu Rom den Zopf abgeſchnitten bei
einer Sauferei, verlor er allen Halt und alle
Ehrbarkeit und ſtarb in ſeinen alten Tagen nicht
an Altersſchwaͤche, ſondern an dem roͤmiſchen
Wein und an den roͤmiſchen Weibsbilden. Dieſe
Mappe ließ er zufaͤllig bei uns zuruͤck.«

Wir durchblaͤtterten nun die vergilbten Pa¬
piere; es waren ein Dutzend Baumſtudien in
Kreide und Rothſtift, nicht ſehr koͤrperlich und
ſicher gezeichnet, doch von einem tuͤchtigen dilet¬
tantiſchen Streben zeugend, nebſt einigen verbla߬
ten Farbenſkizzen und einer großen in Oel ge¬
malten Eiche. »Dies nannte er Baumſchlag,«
ſagte mein Oheim, »und machte ein großes We¬
ſen daraus. Das Geheimniß deſſelben hatte er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0038" n="28"/>
&#x017F;chon manchen Centner Taback verraucht hatte,<lb/>
gela&#x017F;&#x017F;en zur Ruhe zu bringen, indem &#x017F;ie &#x017F;agten,<lb/>
er mo&#x0364;ge doch die jungen Fa&#x0364;nte &#x017F;chreien la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
die Zeit werde &#x017F;o gut u&#x0364;ber &#x017F;ie hinweggehen, wie<lb/>
u&#x0364;ber uns! Alles um&#x017F;on&#x017F;t! Eines Morgens &#x017F;chloß<lb/>
er &#x017F;einen hage&#x017F;tolzlichen Kun&#x017F;ttempel zu und<lb/>
rannte wie verru&#x0364;ckt nach dem St. Gotthard, hin¬<lb/>
u&#x0364;ber und kam nicht wieder. Nachdem ihm die<lb/>
Hallunken zu Rom den Zopf abge&#x017F;chnitten bei<lb/>
einer Sauferei, verlor er allen Halt und alle<lb/>
Ehrbarkeit und &#x017F;tarb in &#x017F;einen alten Tagen nicht<lb/>
an Alters&#x017F;chwa&#x0364;che, &#x017F;ondern an dem ro&#x0364;mi&#x017F;chen<lb/>
Wein und an den ro&#x0364;mi&#x017F;chen Weibsbilden. Die&#x017F;e<lb/>
Mappe ließ er zufa&#x0364;llig bei uns zuru&#x0364;ck.«</p><lb/>
        <p>Wir durchbla&#x0364;tterten nun die vergilbten Pa¬<lb/>
piere; es waren ein Dutzend Baum&#x017F;tudien in<lb/>
Kreide und Roth&#x017F;tift, nicht &#x017F;ehr ko&#x0364;rperlich und<lb/>
&#x017F;icher gezeichnet, doch von einem tu&#x0364;chtigen dilet¬<lb/>
tanti&#x017F;chen Streben zeugend, neb&#x017F;t einigen verbla߬<lb/>
ten Farben&#x017F;kizzen und einer großen in Oel ge¬<lb/>
malten Eiche. »Dies nannte er Baum&#x017F;chlag,«<lb/>
&#x017F;agte mein Oheim, »und machte ein großes We¬<lb/>
&#x017F;en daraus. Das Geheimniß de&#x017F;&#x017F;elben hatte er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0038] ſchon manchen Centner Taback verraucht hatte, gelaſſen zur Ruhe zu bringen, indem ſie ſagten, er moͤge doch die jungen Faͤnte ſchreien laſſen, die Zeit werde ſo gut uͤber ſie hinweggehen, wie uͤber uns! Alles umſonſt! Eines Morgens ſchloß er ſeinen hageſtolzlichen Kunſttempel zu und rannte wie verruͤckt nach dem St. Gotthard, hin¬ uͤber und kam nicht wieder. Nachdem ihm die Hallunken zu Rom den Zopf abgeſchnitten bei einer Sauferei, verlor er allen Halt und alle Ehrbarkeit und ſtarb in ſeinen alten Tagen nicht an Altersſchwaͤche, ſondern an dem roͤmiſchen Wein und an den roͤmiſchen Weibsbilden. Dieſe Mappe ließ er zufaͤllig bei uns zuruͤck.« Wir durchblaͤtterten nun die vergilbten Pa¬ piere; es waren ein Dutzend Baumſtudien in Kreide und Rothſtift, nicht ſehr koͤrperlich und ſicher gezeichnet, doch von einem tuͤchtigen dilet¬ tantiſchen Streben zeugend, nebſt einigen verbla߬ ten Farbenſkizzen und einer großen in Oel ge¬ malten Eiche. »Dies nannte er Baumſchlag,« ſagte mein Oheim, »und machte ein großes We¬ ſen daraus. Das Geheimniß deſſelben hatte er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/38
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/38>, abgerufen am 24.11.2024.