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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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bald wie unregelmäßige Verzweigungen derselben
aus. Den Stoff zu den lauten Gesprächen lieh
die allgemeine Theaterkritik, die sich über alle
Tische verbreitete, und deren mündliche Artikel
die Künstler selbst verfaßten. Diese Kritik be¬
faßte sich weniger mit dem Inhalte des Dramas
und mit der Darstellung desselben, als mit dem
romantischen Aussehen der Helden und mit der
Vergleichung mit ihrem gewöhnlichen Behaben.
Daraus entstanden hundertfache scherzhafte Be¬
ziehungen und Anspielungen, von denen kaum
der Tell allein frei gehalten wurde; denn dieser
schien unangreifbar. Aber der Tyrann Geßler ge¬
rieth in ein solches Kreuzfeuer, daß er in der
Hitze des Gefechtes einen kleinen Rausch trank
und seinen blinden Ingrimm bald auf sehr na¬
türliche Weise darzustellen im Stande war. Die
heitersten Scherze veranlaßten die jungen Leute,
welche in Frauentracht an der Tafel saßen. Es
waren drei oder vier Burschen wie Milch und
Blut, mit Sorgfalt gekleidet und benahmen sich
sehr züchtig und zimpferlich; während sie verlieb¬
ter und kecker Natur und angehende Don Juans

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bald wie unregelmaͤßige Verzweigungen derſelben
aus. Den Stoff zu den lauten Geſpraͤchen lieh
die allgemeine Theaterkritik, die ſich uͤber alle
Tiſche verbreitete, und deren muͤndliche Artikel
die Kuͤnſtler ſelbſt verfaßten. Dieſe Kritik be¬
faßte ſich weniger mit dem Inhalte des Dramas
und mit der Darſtellung deſſelben, als mit dem
romantiſchen Ausſehen der Helden und mit der
Vergleichung mit ihrem gewoͤhnlichen Behaben.
Daraus entſtanden hundertfache ſcherzhafte Be¬
ziehungen und Anſpielungen, von denen kaum
der Tell allein frei gehalten wurde; denn dieſer
ſchien unangreifbar. Aber der Tyrann Geßler ge¬
rieth in ein ſolches Kreuzfeuer, daß er in der
Hitze des Gefechtes einen kleinen Rauſch trank
und ſeinen blinden Ingrimm bald auf ſehr na¬
tuͤrliche Weiſe darzuſtellen im Stande war. Die
heiterſten Scherze veranlaßten die jungen Leute,
welche in Frauentracht an der Tafel ſaßen. Es
waren drei oder vier Burſchen wie Milch und
Blut, mit Sorgfalt gekleidet und benahmen ſich
ſehr zuͤchtig und zimpferlich; waͤhrend ſie verlieb¬
ter und kecker Natur und angehende Don Juans

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[369/0379] bald wie unregelmaͤßige Verzweigungen derſelben aus. Den Stoff zu den lauten Geſpraͤchen lieh die allgemeine Theaterkritik, die ſich uͤber alle Tiſche verbreitete, und deren muͤndliche Artikel die Kuͤnſtler ſelbſt verfaßten. Dieſe Kritik be¬ faßte ſich weniger mit dem Inhalte des Dramas und mit der Darſtellung deſſelben, als mit dem romantiſchen Ausſehen der Helden und mit der Vergleichung mit ihrem gewoͤhnlichen Behaben. Daraus entſtanden hundertfache ſcherzhafte Be¬ ziehungen und Anſpielungen, von denen kaum der Tell allein frei gehalten wurde; denn dieſer ſchien unangreifbar. Aber der Tyrann Geßler ge¬ rieth in ein ſolches Kreuzfeuer, daß er in der Hitze des Gefechtes einen kleinen Rauſch trank und ſeinen blinden Ingrimm bald auf ſehr na¬ tuͤrliche Weiſe darzuſtellen im Stande war. Die heiterſten Scherze veranlaßten die jungen Leute, welche in Frauentracht an der Tafel ſaßen. Es waren drei oder vier Burſchen wie Milch und Blut, mit Sorgfalt gekleidet und benahmen ſich ſehr zuͤchtig und zimpferlich; waͤhrend ſie verlieb¬ ter und kecker Natur und angehende Don Juans ll. 24

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/379>, abgerufen am 23.11.2024.