Zuschauer zu retten, wurden aber überall mit Ge¬ lächter zurückgestoßen, so daß sie längs der fröh¬ lichen Reihen kein Unterkommen fanden und ängst¬ lich umherirrten, mit zerzausten Mützen und furchtsam ihre Verhüllung an das Gesicht drü¬ ckend, damit sie nicht erkannt würden. Anna empfand Mitleiden mit ihnen und beauftragte Rudolph den Harras und mich, den mißhandel¬ ten Fratzen einen Ausweg zu verschaffen, und so wurde ich meiner Rede enthoben. Dies störte übrigens nicht, da man gar nicht die Worte zählte und manchmal sogar die Schiller'schen Jamben mit eigenen Kraftausdrücken verzierte, so wie es die Bewegung eben mit sich brachte. Doch machte sich der Volkshumor im Schooße des Schauspieles selbst geltend, als es zum Schusse kam. Hier war seit undenklichen Zeiten, wenn bei Aufzügen die That des Tell auf derbe Weise vorgeführt wurde, der Scherz üblich ge¬ wesen, daß der Knabe während des Hin- und Herredens den Apfel vom Kopfe nahm und zum großen Jubel des Volkes gemüthlich verspeiste. Dies Vergnügen war auch hier wieder einge¬
Zuſchauer zu retten, wurden aber uͤberall mit Ge¬ laͤchter zuruͤckgeſtoßen, ſo daß ſie laͤngs der froͤh¬ lichen Reihen kein Unterkommen fanden und aͤngſt¬ lich umherirrten, mit zerzauſten Muͤtzen und furchtſam ihre Verhuͤllung an das Geſicht druͤ¬ ckend, damit ſie nicht erkannt wuͤrden. Anna empfand Mitleiden mit ihnen und beauftragte Rudolph den Harras und mich, den mißhandel¬ ten Fratzen einen Ausweg zu verſchaffen, und ſo wurde ich meiner Rede enthoben. Dies ſtoͤrte uͤbrigens nicht, da man gar nicht die Worte zaͤhlte und manchmal ſogar die Schiller'ſchen Jamben mit eigenen Kraftausdruͤcken verzierte, ſo wie es die Bewegung eben mit ſich brachte. Doch machte ſich der Volkshumor im Schooße des Schauſpieles ſelbſt geltend, als es zum Schuſſe kam. Hier war ſeit undenklichen Zeiten, wenn bei Aufzuͤgen die That des Tell auf derbe Weiſe vorgefuͤhrt wurde, der Scherz uͤblich ge¬ weſen, daß der Knabe waͤhrend des Hin- und Herredens den Apfel vom Kopfe nahm und zum großen Jubel des Volkes gemuͤthlich verſpeiſte. Dies Vergnuͤgen war auch hier wieder einge¬
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Zuſchauer zu retten, wurden aber uͤberall mit Ge¬
laͤchter zuruͤckgeſtoßen, ſo daß ſie laͤngs der froͤh¬
lichen Reihen kein Unterkommen fanden und aͤngſt¬
lich umherirrten, mit zerzauſten Muͤtzen und
furchtſam ihre Verhuͤllung an das Geſicht druͤ¬
ckend, damit ſie nicht erkannt wuͤrden. Anna
empfand Mitleiden mit ihnen und beauftragte
Rudolph den Harras und mich, den mißhandel¬
ten Fratzen einen Ausweg zu verſchaffen, und ſo
wurde ich meiner Rede enthoben. Dies ſtoͤrte
uͤbrigens nicht, da man gar nicht die Worte
zaͤhlte und manchmal ſogar die Schiller'ſchen
Jamben mit eigenen Kraftausdruͤcken verzierte, ſo
wie es die Bewegung eben mit ſich brachte.
Doch machte ſich der Volkshumor im Schooße
des Schauſpieles ſelbſt geltend, als es zum
Schuſſe kam. Hier war ſeit undenklichen Zeiten,
wenn bei Aufzuͤgen die That des Tell auf derbe
Weiſe vorgefuͤhrt wurde, der Scherz uͤblich ge¬
weſen, daß der Knabe waͤhrend des Hin- und
Herredens den Apfel vom Kopfe nahm und zum
großen Jubel des Volkes gemuͤthlich verſpeiſte.
Dies Vergnuͤgen war auch hier wieder einge¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/374>, abgerufen am 23.11.2024.
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