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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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schimmernd von allen Seiten her sich bewegen,
und als wir eine viertel Stunde weit geritten
waren, kamen wir an eine Schenke an einer
Kreuzstraße, vor welcher die sechs barmherzigen
Brüder saßen, welche den Geßler wegtragen soll¬
ten. Dies waren die lustigsten Bursche der Um¬
gegend, hatten sich unter den Kutten ungeheure
Bäuche gemacht und schreckliche Bärte von Werg
umgebunden, auch die Nasen roth gefärbt; sie
gedachten den ganzen Tag sich auf eigene Faust
herumzutreiben und spielten gegenwärtig Karten
mit großem Halloh, wobei sie andere Spielkar¬
ten aus den Kapuzen zogen und statt der Heili¬
gen an die Leute austheilten. Auch führten sie
große Proviantsäcke mit sich und schienen schon
ziemlich angeglüht, so daß wir für die Feierlich¬
keit ihrer Verrichtung bei Geßler's Tod etwas be¬
sorgt wurden. Im nächsten Dorf sahen wir den
Arnold von Melchthal ruhig einem Stadtmetzger
einen Ochsen verkaufen, wozu er schon seine alte
Tracht trug; dann kam ein Zug mit Trommel
und Pfeife und mit dem Hut auf der Stange,
um in der Umgegend das höhnische Gesetz zu ver¬

ſchimmernd von allen Seiten her ſich bewegen,
und als wir eine viertel Stunde weit geritten
waren, kamen wir an eine Schenke an einer
Kreuzſtraße, vor welcher die ſechs barmherzigen
Bruͤder ſaßen, welche den Geßler wegtragen ſoll¬
ten. Dies waren die luſtigſten Burſche der Um¬
gegend, hatten ſich unter den Kutten ungeheure
Baͤuche gemacht und ſchreckliche Baͤrte von Werg
umgebunden, auch die Naſen roth gefaͤrbt; ſie
gedachten den ganzen Tag ſich auf eigene Fauſt
herumzutreiben und ſpielten gegenwaͤrtig Karten
mit großem Halloh, wobei ſie andere Spielkar¬
ten aus den Kapuzen zogen und ſtatt der Heili¬
gen an die Leute austheilten. Auch fuͤhrten ſie
große Proviantſaͤcke mit ſich und ſchienen ſchon
ziemlich angegluͤht, ſo daß wir fuͤr die Feierlich¬
keit ihrer Verrichtung bei Geßler's Tod etwas be¬
ſorgt wurden. Im naͤchſten Dorf ſahen wir den
Arnold von Melchthal ruhig einem Stadtmetzger
einen Ochſen verkaufen, wozu er ſchon ſeine alte
Tracht trug; dann kam ein Zug mit Trommel
und Pfeife und mit dem Hut auf der Stange,
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[355/0365] ſchimmernd von allen Seiten her ſich bewegen, und als wir eine viertel Stunde weit geritten waren, kamen wir an eine Schenke an einer Kreuzſtraße, vor welcher die ſechs barmherzigen Bruͤder ſaßen, welche den Geßler wegtragen ſoll¬ ten. Dies waren die luſtigſten Burſche der Um¬ gegend, hatten ſich unter den Kutten ungeheure Baͤuche gemacht und ſchreckliche Baͤrte von Werg umgebunden, auch die Naſen roth gefaͤrbt; ſie gedachten den ganzen Tag ſich auf eigene Fauſt herumzutreiben und ſpielten gegenwaͤrtig Karten mit großem Halloh, wobei ſie andere Spielkar¬ ten aus den Kapuzen zogen und ſtatt der Heili¬ gen an die Leute austheilten. Auch fuͤhrten ſie große Proviantſaͤcke mit ſich und ſchienen ſchon ziemlich angegluͤht, ſo daß wir fuͤr die Feierlich¬ keit ihrer Verrichtung bei Geßler's Tod etwas be¬ ſorgt wurden. Im naͤchſten Dorf ſahen wir den Arnold von Melchthal ruhig einem Stadtmetzger einen Ochſen verkaufen, wozu er ſchon ſeine alte Tracht trug; dann kam ein Zug mit Trommel und Pfeife und mit dem Hut auf der Stange, um in der Umgegend das hoͤhniſche Geſetz zu ver¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/365>, abgerufen am 23.11.2024.