Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

heit möglich war für meine geringen Mittel.
Doch war er noch erträglich getreu, eine große
zimmetfarbene Decke, ohne Beschädigung in einen
faltenreichen Mantel umgewandelt, verhüllte die
Unvollkommenheiten; auf dem Rücken trug ich
eine Armbrust und auf dem Kopfe einen grauen
Filz. Allein da der Mensch immer eine schwache
Seite haben muß, so schnallte ich den langen
Toledodegen um aus der Dachkammer; ich hatte
alle Anderen zu historischer Treue ermahnt, hatte
zeitgemäße Waffen in Menge selbst aus dem
Zeughause geholt und doch wählte ich diesen spa¬
nischen Bratspieß, ohne daß ich mir heute klar
machen kann, was ich mir dabei dachte!

Der wichtige und ersehnte Tag brach an mit
dem allerschönsten Morgen; der Himmel war
ganz wolkenlos, es war in diesem Hornung schon
so warm, daß die Bäume anfingen auszuschla¬
gen und die Wiesen grünten. Mit Sonnenauf¬
gang, als eben der Schimmel an dem funkelnden
Flüßchen stand und gewaschen wurde, tönten Al¬
penhörner und Heerdengeläute durch das Dorf
herab und ein Zug von mehr als hundert präch¬

heit moͤglich war fuͤr meine geringen Mittel.
Doch war er noch ertraͤglich getreu, eine große
zimmetfarbene Decke, ohne Beſchaͤdigung in einen
faltenreichen Mantel umgewandelt, verhuͤllte die
Unvollkommenheiten; auf dem Ruͤcken trug ich
eine Armbruſt und auf dem Kopfe einen grauen
Filz. Allein da der Menſch immer eine ſchwache
Seite haben muß, ſo ſchnallte ich den langen
Toledodegen um aus der Dachkammer; ich hatte
alle Anderen zu hiſtoriſcher Treue ermahnt, hatte
zeitgemaͤße Waffen in Menge ſelbſt aus dem
Zeughauſe geholt und doch waͤhlte ich dieſen ſpa¬
niſchen Bratſpieß, ohne daß ich mir heute klar
machen kann, was ich mir dabei dachte!

Der wichtige und erſehnte Tag brach an mit
dem allerſchoͤnſten Morgen; der Himmel war
ganz wolkenlos, es war in dieſem Hornung ſchon
ſo warm, daß die Baͤume anfingen auszuſchla¬
gen und die Wieſen gruͤnten. Mit Sonnenauf¬
gang, als eben der Schimmel an dem funkelnden
Fluͤßchen ſtand und gewaſchen wurde, toͤnten Al¬
penhoͤrner und Heerdengelaͤute durch das Dorf
herab und ein Zug von mehr als hundert praͤch¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0360" n="350"/>
heit mo&#x0364;glich war fu&#x0364;r meine geringen Mittel.<lb/>
Doch war er noch ertra&#x0364;glich getreu, eine große<lb/>
zimmetfarbene Decke, ohne Be&#x017F;cha&#x0364;digung in einen<lb/>
faltenreichen Mantel umgewandelt, verhu&#x0364;llte die<lb/>
Unvollkommenheiten; auf dem Ru&#x0364;cken trug ich<lb/>
eine Armbru&#x017F;t und auf dem Kopfe einen grauen<lb/>
Filz. Allein da der Men&#x017F;ch immer eine &#x017F;chwache<lb/>
Seite haben muß, &#x017F;o &#x017F;chnallte ich den langen<lb/>
Toledodegen um aus der Dachkammer; ich hatte<lb/>
alle Anderen zu hi&#x017F;tori&#x017F;cher Treue ermahnt, hatte<lb/>
zeitgema&#x0364;ße Waffen in Menge &#x017F;elb&#x017F;t aus dem<lb/>
Zeughau&#x017F;e geholt und doch wa&#x0364;hlte ich die&#x017F;en &#x017F;pa¬<lb/>
ni&#x017F;chen Brat&#x017F;pieß, ohne daß ich mir heute klar<lb/>
machen kann, was ich mir dabei dachte!</p><lb/>
        <p>Der wichtige und er&#x017F;ehnte Tag brach an mit<lb/>
dem aller&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Morgen; der Himmel war<lb/>
ganz wolkenlos, es war in die&#x017F;em Hornung &#x017F;chon<lb/>
&#x017F;o warm, daß die Ba&#x0364;ume anfingen auszu&#x017F;chla¬<lb/>
gen und die Wie&#x017F;en gru&#x0364;nten. Mit Sonnenauf¬<lb/>
gang, als eben der Schimmel an dem funkelnden<lb/>
Flu&#x0364;ßchen &#x017F;tand und gewa&#x017F;chen wurde, to&#x0364;nten Al¬<lb/>
penho&#x0364;rner und Heerdengela&#x0364;ute durch das Dorf<lb/>
herab und ein Zug von mehr als hundert pra&#x0364;ch¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[350/0360] heit moͤglich war fuͤr meine geringen Mittel. Doch war er noch ertraͤglich getreu, eine große zimmetfarbene Decke, ohne Beſchaͤdigung in einen faltenreichen Mantel umgewandelt, verhuͤllte die Unvollkommenheiten; auf dem Ruͤcken trug ich eine Armbruſt und auf dem Kopfe einen grauen Filz. Allein da der Menſch immer eine ſchwache Seite haben muß, ſo ſchnallte ich den langen Toledodegen um aus der Dachkammer; ich hatte alle Anderen zu hiſtoriſcher Treue ermahnt, hatte zeitgemaͤße Waffen in Menge ſelbſt aus dem Zeughauſe geholt und doch waͤhlte ich dieſen ſpa¬ niſchen Bratſpieß, ohne daß ich mir heute klar machen kann, was ich mir dabei dachte! Der wichtige und erſehnte Tag brach an mit dem allerſchoͤnſten Morgen; der Himmel war ganz wolkenlos, es war in dieſem Hornung ſchon ſo warm, daß die Baͤume anfingen auszuſchla¬ gen und die Wieſen gruͤnten. Mit Sonnenauf¬ gang, als eben der Schimmel an dem funkelnden Fluͤßchen ſtand und gewaſchen wurde, toͤnten Al¬ penhoͤrner und Heerdengelaͤute durch das Dorf herab und ein Zug von mehr als hundert praͤch¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/360
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/360>, abgerufen am 23.11.2024.