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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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welche ich in meinen Plan legte, und Anna ging
arglos in die ihr gestellte Falle. Das Schwerste
war, sie zum Reiten zu bringen; ein kugelrunder
gemüthlicher Schimmel stand im Stalle meines
Oheims, welcher nie Jemandem ein Haar ge¬
krümmt hatte und auf welchem der Oheim über
Land zu reiten pflegte. Auf dem Boden befand
sich ein vergessener Damensattel aus der alten
Zeit; dieser wurde mit rothem Plüsch neu bezo¬
gen, welchen man einem ehrwürdigen Lehnstuhle
entnahm, und als Anna zum ersten Mal sich dar¬
auf setzte, ging es ganz trefflich, besonders da
der reitkundige Nachbar Müller einige Anleitung
gab, und Anna fand zuletzt großes Vergnügen
an dem guten Schimmel. Eine mächtige hellgrüne
Damastgardine, welche einst ein Himmelbett um¬
geben hatte, wurde zerschnitten und in ein Reit¬
kleid umgewandelt; auch besaß der Schulmeister
als ein altes Erbstück eine Krone von silbernem
Flechtwerke, wie sie ehemals die Bräute getra¬
gen; Anna's goldglänzendes Haar wurde nur zu¬
nächst der Schläfe zierlich geflochten, unterhalb
aber in seiner ganzen Länge frei ausgebreitet und

welche ich in meinen Plan legte, und Anna ging
arglos in die ihr geſtellte Falle. Das Schwerſte
war, ſie zum Reiten zu bringen; ein kugelrunder
gemuͤthlicher Schimmel ſtand im Stalle meines
Oheims, welcher nie Jemandem ein Haar ge¬
kruͤmmt hatte und auf welchem der Oheim uͤber
Land zu reiten pflegte. Auf dem Boden befand
ſich ein vergeſſener Damenſattel aus der alten
Zeit; dieſer wurde mit rothem Pluͤſch neu bezo¬
gen, welchen man einem ehrwuͤrdigen Lehnſtuhle
entnahm, und als Anna zum erſten Mal ſich dar¬
auf ſetzte, ging es ganz trefflich, beſonders da
der reitkundige Nachbar Muͤller einige Anleitung
gab, und Anna fand zuletzt großes Vergnuͤgen
an dem guten Schimmel. Eine maͤchtige hellgruͤne
Damaſtgardine, welche einſt ein Himmelbett um¬
geben hatte, wurde zerſchnitten und in ein Reit¬
kleid umgewandelt; auch beſaß der Schulmeiſter
als ein altes Erbſtuͤck eine Krone von ſilbernem
Flechtwerke, wie ſie ehemals die Braͤute getra¬
gen; Anna's goldglaͤnzendes Haar wurde nur zu¬
naͤchſt der Schlaͤfe zierlich geflochten, unterhalb
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[348/0358] welche ich in meinen Plan legte, und Anna ging arglos in die ihr geſtellte Falle. Das Schwerſte war, ſie zum Reiten zu bringen; ein kugelrunder gemuͤthlicher Schimmel ſtand im Stalle meines Oheims, welcher nie Jemandem ein Haar ge¬ kruͤmmt hatte und auf welchem der Oheim uͤber Land zu reiten pflegte. Auf dem Boden befand ſich ein vergeſſener Damenſattel aus der alten Zeit; dieſer wurde mit rothem Pluͤſch neu bezo¬ gen, welchen man einem ehrwuͤrdigen Lehnſtuhle entnahm, und als Anna zum erſten Mal ſich dar¬ auf ſetzte, ging es ganz trefflich, beſonders da der reitkundige Nachbar Muͤller einige Anleitung gab, und Anna fand zuletzt großes Vergnuͤgen an dem guten Schimmel. Eine maͤchtige hellgruͤne Damaſtgardine, welche einſt ein Himmelbett um¬ geben hatte, wurde zerſchnitten und in ein Reit¬ kleid umgewandelt; auch beſaß der Schulmeiſter als ein altes Erbſtuͤck eine Krone von ſilbernem Flechtwerke, wie ſie ehemals die Braͤute getra¬ gen; Anna's goldglaͤnzendes Haar wurde nur zu¬ naͤchſt der Schlaͤfe zierlich geflochten, unterhalb aber in ſeiner ganzen Laͤnge frei ausgebreitet und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/358>, abgerufen am 23.11.2024.