Ende des Gottesdienstes abwarten, da es mich anfing, gewaltig an den Füßen zu frieren und das Stillstehen sehr schwierig wurde.
Als die Kirchenthüren geöffnet wurden, drängte ich mich geschmeidig durch die vielen Leute, ohne die Freude meiner Freiheit sichtbar werden zu las¬ sen und ohne Jemanden anzustoßen, und war bei aller Gelassenheit doch der Erste, der sich in einiger Entfernung von der Kirche befand. Dort erwar¬ tete ich meine Mutter, welche sich endlich in ihrem schwarzen Gewande demüthig aus der Menge her¬ vorspann, und ging mit ihr nach Hause, gänzlich unbekümmert um meine Genossenschaft des geist¬ lichen Unterrichts. Es war kein Einziger darunter, mit welchem ich in näherer Berührung stand, und Viele derselben sind mir bis jetzt noch gar nicht wieder begegnet. In unserer warmen Stube an¬ gekommen, warf ich vergnügt mein Gesangbuch hin, indessen die Mutter nach dem Essen sah, welches sie am Morgen in den Ofen gesetzt hatte. Es sollte heute so reichlich und festlich sein, wie un¬ ser Tisch seit den Tagen des Vaters nie mehr gese¬ hen hatte, und eine arme Wittwe war dazu eingela¬
Ende des Gottesdienſtes abwarten, da es mich anfing, gewaltig an den Fuͤßen zu frieren und das Stillſtehen ſehr ſchwierig wurde.
Als die Kirchenthuͤren geoͤffnet wurden, draͤngte ich mich geſchmeidig durch die vielen Leute, ohne die Freude meiner Freiheit ſichtbar werden zu laſ¬ ſen und ohne Jemanden anzuſtoßen, und war bei aller Gelaſſenheit doch der Erſte, der ſich in einiger Entfernung von der Kirche befand. Dort erwar¬ tete ich meine Mutter, welche ſich endlich in ihrem ſchwarzen Gewande demuͤthig aus der Menge her¬ vorſpann, und ging mit ihr nach Hauſe, gaͤnzlich unbekuͤmmert um meine Genoſſenſchaft des geiſt¬ lichen Unterrichts. Es war kein Einziger darunter, mit welchem ich in naͤherer Beruͤhrung ſtand, und Viele derſelben ſind mir bis jetzt noch gar nicht wieder begegnet. In unſerer warmen Stube an¬ gekommen, warf ich vergnuͤgt mein Geſangbuch hin, indeſſen die Mutter nach dem Eſſen ſah, welches ſie am Morgen in den Ofen geſetzt hatte. Es ſollte heute ſo reichlich und feſtlich ſein, wie un¬ ſer Tiſch ſeit den Tagen des Vaters nie mehr geſe¬ hen hatte, und eine arme Wittwe war dazu eingela¬
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Ende des Gottesdienſtes abwarten, da es mich
anfing, gewaltig an den Fuͤßen zu frieren und
das Stillſtehen ſehr ſchwierig wurde.
Als die Kirchenthuͤren geoͤffnet wurden, draͤngte
ich mich geſchmeidig durch die vielen Leute, ohne
die Freude meiner Freiheit ſichtbar werden zu laſ¬
ſen und ohne Jemanden anzuſtoßen, und war bei
aller Gelaſſenheit doch der Erſte, der ſich in einiger
Entfernung von der Kirche befand. Dort erwar¬
tete ich meine Mutter, welche ſich endlich in ihrem
ſchwarzen Gewande demuͤthig aus der Menge her¬
vorſpann, und ging mit ihr nach Hauſe, gaͤnzlich
unbekuͤmmert um meine Genoſſenſchaft des geiſt¬
lichen Unterrichts. Es war kein Einziger darunter,
mit welchem ich in naͤherer Beruͤhrung ſtand, und
Viele derſelben ſind mir bis jetzt noch gar nicht
wieder begegnet. In unſerer warmen Stube an¬
gekommen, warf ich vergnuͤgt mein Geſangbuch
hin, indeſſen die Mutter nach dem Eſſen ſah,
welches ſie am Morgen in den Ofen geſetzt hatte.
Es ſollte heute ſo reichlich und feſtlich ſein, wie un¬
ſer Tiſch ſeit den Tagen des Vaters nie mehr geſe¬
hen hatte, und eine arme Wittwe war dazu eingela¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/343>, abgerufen am 27.11.2024.
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