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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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ein solches, daß ich im Buche einer meiner Ba¬
sen gefunden, hatte ich einst ein Osterlämmchen
gemalt mit einem Amor, der darauf reitet, und
bei der Entdeckung ein strenges Verhör nebst
Verweis zu bestehen gehabt; als ich jetzt mehrere
solcher Blätter in der Hand hielt, erinnerte ich
mich daran und mußte lächeln; auch gelüstete es
mich einen Augenblick lang, eins zurückzubehal¬
ten, um irgend ein lustiges Erinnerungszeichen
an meinen Abschied von der Kirche darauf zu
malen. Aber ich besann mich, daß ich in dem
väterlichen Stuhle stand, und gab das Brot
weiter, nachdem ich eine Ecke davon in den
Mund gesteckt, zum andächtigen aber allerletzten
Abschiede von der Kinderzeit und der Kinder¬
speise, die ich beim Küster gekauft hatte. Als
ich den Becher in der Hand hielt, blickte ich
fest in den Wein, ehe ich trank; aber es rührte
mich nicht, ich nahm einen Schluck, gab die Schale
weiter und, indem ich mit den Gedanken schon
weit auf dem Wege nach Hause, den Wein hin¬
abschluckte, drehte ich ungeduldig mein Sam¬
metbaret in der Hand und mochte kaum das

ein ſolches, daß ich im Buche einer meiner Ba¬
ſen gefunden, hatte ich einſt ein Oſterlaͤmmchen
gemalt mit einem Amor, der darauf reitet, und
bei der Entdeckung ein ſtrenges Verhoͤr nebſt
Verweis zu beſtehen gehabt; als ich jetzt mehrere
ſolcher Blaͤtter in der Hand hielt, erinnerte ich
mich daran und mußte laͤcheln; auch geluͤſtete es
mich einen Augenblick lang, eins zuruͤckzubehal¬
ten, um irgend ein luſtiges Erinnerungszeichen
an meinen Abſchied von der Kirche darauf zu
malen. Aber ich beſann mich, daß ich in dem
vaͤterlichen Stuhle ſtand, und gab das Brot
weiter, nachdem ich eine Ecke davon in den
Mund geſteckt, zum andaͤchtigen aber allerletzten
Abſchiede von der Kinderzeit und der Kinder¬
ſpeiſe, die ich beim Kuͤſter gekauft hatte. Als
ich den Becher in der Hand hielt, blickte ich
feſt in den Wein, ehe ich trank; aber es ruͤhrte
mich nicht, ich nahm einen Schluck, gab die Schale
weiter und, indem ich mit den Gedanken ſchon
weit auf dem Wege nach Hauſe, den Wein hin¬
abſchluckte, drehte ich ungeduldig mein Sam¬
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[332/0342] ein ſolches, daß ich im Buche einer meiner Ba¬ ſen gefunden, hatte ich einſt ein Oſterlaͤmmchen gemalt mit einem Amor, der darauf reitet, und bei der Entdeckung ein ſtrenges Verhoͤr nebſt Verweis zu beſtehen gehabt; als ich jetzt mehrere ſolcher Blaͤtter in der Hand hielt, erinnerte ich mich daran und mußte laͤcheln; auch geluͤſtete es mich einen Augenblick lang, eins zuruͤckzubehal¬ ten, um irgend ein luſtiges Erinnerungszeichen an meinen Abſchied von der Kirche darauf zu malen. Aber ich beſann mich, daß ich in dem vaͤterlichen Stuhle ſtand, und gab das Brot weiter, nachdem ich eine Ecke davon in den Mund geſteckt, zum andaͤchtigen aber allerletzten Abſchiede von der Kinderzeit und der Kinder¬ ſpeiſe, die ich beim Kuͤſter gekauft hatte. Als ich den Becher in der Hand hielt, blickte ich feſt in den Wein, ehe ich trank; aber es ruͤhrte mich nicht, ich nahm einen Schluck, gab die Schale weiter und, indem ich mit den Gedanken ſchon weit auf dem Wege nach Hauſe, den Wein hin¬ abſchluckte, drehte ich ungeduldig mein Sam¬ metbaret in der Hand und mochte kaum das

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/342>, abgerufen am 27.11.2024.