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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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kann!" sagte freundlich lachend der Schulmeister;
ich aber behauptete: die moralische Wichtigkeit die¬
ses Unabhängigkeitssinnes scheine mir sehr groß
und größer zu sein, als wir es uns vielleicht den¬
ken könnten.

Der geistliche Unterricht ging nun zu Ende;
wir mußten auf unsere Ausstattung denken, um
würdig bei der Festlichkeit zu erscheinen. Es war
unabänderliche Sitte, daß die jungen Leute auf
diese Tage den ersten Frack machen ließen, den
Hemdekragen in die Höhe richteten und eine
steife Halsbinde darum banden, auch die erste Hut¬
röhre auf den Kopf setzten; zudem schnitt Jeder, wer
jugendlich lange Haare getragen, dieselben nun
kurz und klein, gleich den englischen Rundköpfen.
Dies waren mir alles unsägliche Gräuel und ich
schwur, dieselben nun und nimmermehr nachzu¬
machen. Die grünen Kleider meines Vaters
waren endlich zu Ende und zum ersten Male
mußte neues Tuch gekauft werden. Die grüne
Farbe war mir einmal eigen geworden und ich
wünschte nicht einmal meinen Uebernamen abzu¬
schaffen, der mir noch immer gegeben wurde,

kann!« ſagte freundlich lachend der Schulmeiſter;
ich aber behauptete: die moraliſche Wichtigkeit die¬
ſes Unabhaͤngigkeitsſinnes ſcheine mir ſehr groß
und groͤßer zu ſein, als wir es uns vielleicht den¬
ken koͤnnten.

Der geiſtliche Unterricht ging nun zu Ende;
wir mußten auf unſere Ausſtattung denken, um
wuͤrdig bei der Feſtlichkeit zu erſcheinen. Es war
unabaͤnderliche Sitte, daß die jungen Leute auf
dieſe Tage den erſten Frack machen ließen, den
Hemdekragen in die Hoͤhe richteten und eine
ſteife Halsbinde darum banden, auch die erſte Hut¬
roͤhre auf den Kopf ſetzten; zudem ſchnitt Jeder, wer
jugendlich lange Haare getragen, dieſelben nun
kurz und klein, gleich den engliſchen Rundkoͤpfen.
Dies waren mir alles unſaͤgliche Graͤuel und ich
ſchwur, dieſelben nun und nimmermehr nachzu¬
machen. Die gruͤnen Kleider meines Vaters
waren endlich zu Ende und zum erſten Male
mußte neues Tuch gekauft werden. Die gruͤne
Farbe war mir einmal eigen geworden und ich
wuͤnſchte nicht einmal meinen Uebernamen abzu¬
ſchaffen, der mir noch immer gegeben wurde,

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[322/0332] kann!« ſagte freundlich lachend der Schulmeiſter; ich aber behauptete: die moraliſche Wichtigkeit die¬ ſes Unabhaͤngigkeitsſinnes ſcheine mir ſehr groß und groͤßer zu ſein, als wir es uns vielleicht den¬ ken koͤnnten. Der geiſtliche Unterricht ging nun zu Ende; wir mußten auf unſere Ausſtattung denken, um wuͤrdig bei der Feſtlichkeit zu erſcheinen. Es war unabaͤnderliche Sitte, daß die jungen Leute auf dieſe Tage den erſten Frack machen ließen, den Hemdekragen in die Hoͤhe richteten und eine ſteife Halsbinde darum banden, auch die erſte Hut¬ roͤhre auf den Kopf ſetzten; zudem ſchnitt Jeder, wer jugendlich lange Haare getragen, dieſelben nun kurz und klein, gleich den engliſchen Rundkoͤpfen. Dies waren mir alles unſaͤgliche Graͤuel und ich ſchwur, dieſelben nun und nimmermehr nachzu¬ machen. Die gruͤnen Kleider meines Vaters waren endlich zu Ende und zum erſten Male mußte neues Tuch gekauft werden. Die gruͤne Farbe war mir einmal eigen geworden und ich wuͤnſchte nicht einmal meinen Uebernamen abzu¬ ſchaffen, der mir noch immer gegeben wurde,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/332>, abgerufen am 26.11.2024.