sich dadurch äußerte, daß sein drittes Wort im¬ mer das Wort "Neid" war. Er versicherte, sich in einer ewig glückseligen moralischen Ueberlegen¬ heit zu befinden, und sah daher in jedem Blatte, das nicht nach seiner Weise säuselte, einen neidi¬ schen Widersacher, und die ganze Welt war nur ein vor Neid zitternder Wald für ihn. Wider¬ sprach ihm Jemand, so schrieb er jeden Wider¬ spruch dem Neide zu, schwieg man während seiner Vorträge, so ward er wüthend und konnte kaum das Weggehen des Schweigenden abwarten, um denselben des Neides zu beschuldigen, so daß seine ganze Rede durch das unaufhörlich wiederkehrende Wort Neid recht eigentlich zum neidisch tönenden Gesange des Neides selbst wurde. So war er in Allem der persönliche Feind der Wahrheit und athmete nur in Abwesenheit derselben, wie die Mäuse auf dem Tische tanzen, wenn die Katze nicht zu Hause ist, und die Wahrheit rächte sich auf die einfachste Weise an ihm. Sein Grund¬ übel war, daß er schon im Mutterleibe hatte ge¬ scheidter sein wollen als seine Mutter, und in Folge dessen konnte er nur leben, wenn er Nichts
ſich dadurch aͤußerte, daß ſein drittes Wort im¬ mer das Wort »Neid« war. Er verſicherte, ſich in einer ewig gluͤckſeligen moraliſchen Ueberlegen¬ heit zu befinden, und ſah daher in jedem Blatte, das nicht nach ſeiner Weiſe ſaͤuſelte, einen neidi¬ ſchen Widerſacher, und die ganze Welt war nur ein vor Neid zitternder Wald fuͤr ihn. Wider¬ ſprach ihm Jemand, ſo ſchrieb er jeden Wider¬ ſpruch dem Neide zu, ſchwieg man waͤhrend ſeiner Vortraͤge, ſo ward er wuͤthend und konnte kaum das Weggehen des Schweigenden abwarten, um denſelben des Neides zu beſchuldigen, ſo daß ſeine ganze Rede durch das unaufhoͤrlich wiederkehrende Wort Neid recht eigentlich zum neidiſch toͤnenden Geſange des Neides ſelbſt wurde. So war er in Allem der perſoͤnliche Feind der Wahrheit und athmete nur in Abweſenheit derſelben, wie die Maͤuſe auf dem Tiſche tanzen, wenn die Katze nicht zu Hauſe iſt, und die Wahrheit raͤchte ſich auf die einfachſte Weiſe an ihm. Sein Grund¬ uͤbel war, daß er ſchon im Mutterleibe hatte ge¬ ſcheidter ſein wollen als ſeine Mutter, und in Folge deſſen konnte er nur leben, wenn er Nichts
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ſich dadurch aͤußerte, daß ſein drittes Wort im¬
mer das Wort »Neid« war. Er verſicherte, ſich
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heit zu befinden, und ſah daher in jedem Blatte,
das nicht nach ſeiner Weiſe ſaͤuſelte, einen neidi¬
ſchen Widerſacher, und die ganze Welt war nur
ein vor Neid zitternder Wald fuͤr ihn. Wider¬
ſprach ihm Jemand, ſo ſchrieb er jeden Wider¬
ſpruch dem Neide zu, ſchwieg man waͤhrend ſeiner
Vortraͤge, ſo ward er wuͤthend und konnte kaum
das Weggehen des Schweigenden abwarten, um
denſelben des Neides zu beſchuldigen, ſo daß ſeine
ganze Rede durch das unaufhoͤrlich wiederkehrende
Wort Neid recht eigentlich zum neidiſch toͤnenden
Geſange des Neides ſelbſt wurde. So war er
in Allem der perſoͤnliche Feind der Wahrheit und
athmete nur in Abweſenheit derſelben, wie die
Maͤuſe auf dem Tiſche tanzen, wenn die Katze
nicht zu Hauſe iſt, und die Wahrheit raͤchte ſich
auf die einfachſte Weiſe an ihm. Sein Grund¬
uͤbel war, daß er ſchon im Mutterleibe hatte ge¬
ſcheidter ſein wollen als ſeine Mutter, und in
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/319>, abgerufen am 25.11.2024.
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